Technaitetos

Fiktiver platonischer Dialog

Ort: Villa Platonia       Personen: Kamosi, Suave, XGirl

1. Tag

XGirl: Ich bin schon gespannt, warum du, Kamosi, uns heute zusammengerufen hast. Was möchtest du diskutieren? Was liegt dir heute am Herzen? Ich nehme an, daß es einen bestimmten Grund für deine Einladung gibt, und wie ich dich kenne, werden wir dieses Mal sicher wieder bei dem Thema "House" hängenbleiben.

Kamosi: Ich glaube, da hast du gar nicht einmal so unrecht. Und wenn ich ehrlich bin, dann schlage ich heute dieses Thema auch gleich am Anfang vor, dann haben wir genug Zeit. Seid ihr damit einverstanden?

XGirl: Mir kann es nur recht sein.

Suave: Auch ich habe nichts dagegen.

Kamosi: Dann möchte ich gleich zu Beginn eine Frage stellen. Was ist House? Oder wie sie LFO gestellt hat "What Is House?".

Suave: Wenn ich es höre, dann erkenne ich es sofort.

XGirl: Für mich sind die Orgeltöne am wichtigsten.

Suave: Auch für mich.

Kamosi: Und für mich ist das Klavier essentiell. Ich glaube, das bringt uns nicht weit. So kommen wir nicht weiter.

Suave: Die Geschwindigkeit darfst du auf keinen Fall vergessen. Nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam.

Kamosi: Schön, Suave, aber ein bißchen genauer solltest du schon sein.

XGirl: Kamosi, du bezeichnest dich immer als House-Philosoph. Als Philosoph hast du immer wieder mit Begriffsdefinitionen und ähnlichem zu tun. Können wir hier nicht von der Philosophie profitieren? Damit sie wenigstens zu etwas gut ist.

Kamosi: Das will ich überhört haben, aber du hast recht, gehen wir die Sache ganz philosophisch an. Vielleicht hilft uns das wirklich weiter.

Suave: Dann laß uns damit beginnen.

Kamosi: Wenn wir etwas definieren wollen, brauchen wir - zumindest wird es uns Philosophen so beigebracht - ein Oberklasse, diese nennen wir Genus Proximum, dazu benötigen wir noch ein oder mehrere unterscheidende Merkmale, diese heißen Differentia Specifica.

XGirl: Das erinnert mich an meinen Latein Unterricht.

Kamosi: Aber du wirst sehen, das hilft uns.

Suave: Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann müssen wir die Klasse suchen, zu der House gehört, und dann brauchen wir noch Eigenschaften, die House von dem anderen in derselben Klasse unterscheidet.

Kamosi: Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Es ist genau so, wie du es eben mit deiner hanseatischen Kürze formuliert hast. Und damit sich XGirl nicht nur wie im Latein Unterricht, sondern allgemein wie in der Schule fühlt, stelle ich ihr auch gleich eine Frage.

XGirl: Nur zu.

Kamosi: Wenn wir nun den Begriff "House" definieren wollen und nach einer Oberklasse suchen, in die House hineingehört, was könnte das denn sein.

XGirl: Wenn wir uns zum Beispiel auf die englische Sprache beziehen, dann könnte der Oberbegriff "Wohnorte" sein. Zu dieser Klasse würden dann "Haus", "Hütte", "Höhle", usw. gehören ...

Kamosi: Es ist schön, daß du versuchst, wie die Philosophen weit um den Brei herumzureden, aber ich glaube nicht, daß wir diesen Bereich behandeln.

XGirl: Das ist mir schon klar, aber ich wollte dir nur einmal zeigen, wie ihr Philosophen redet und nie zur Sache kommen könnt.

Suave: Wenn ich hier einmal eingreifen darf ... es wäre schön, wenn wir wirklich wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückkommen könnten. Also, XGirl, beantworte Kamosis Frage.

XGirl: Gut. Die Oberklasse, zu der House gehört ist Musik.

Kamosi: Sehr schön.

Suave: Siehst du, Kamosi, so geht das.

Kamosi: Nachdem wir nun die Oberklasse gefunden haben, brauchen wir unterscheidende Merkmale.

XGirl: House braucht keine Gitarren.

Kamosi: Ein schöner Gedanke, aber leider nicht ganz richtig.

Suave: Wieso? Ich kenne kein House-Lied, auf dem eine Gitarre zu hören ist.

Kamosi: Vielleicht faßt du den Begriff zu eng, aber da kommen wir später noch dazu.

Suave: Gut, dann nenne mir ein paar Beispiele.

Kamosi: Zum Beispiel "Mantra For A State Of Mind" von S'Express. Auf diesem Lied spielt William Orbit höchstpersönlich ein Wah Wah-Gitarre.

XGirl: Ich kenne das Lied, aber besonders prototypisch für House ist es nicht gerade.

Kamosi: Gut, da will ich dir zustimmen. Dann ein anderes Beispiel. "Beat Dis" von Bomb The Bass. Was hört ihr denn nach dem Satz "The names have been changed to protect the innocent."?

Suave: Schön, das ist eine Gitarre, aber da ist sicher kein Gitarrist im Studio gestanden.

Kamosi: Ich geb' zu, Tim Simenon, Mastermind von Bomb The Bass, hat das Intro von einer anderen Platte gesamplet, aber es handelt sich eindeutig um eine Gitarre. Und vorher meinte XGirl, daß House keine Gitarren braucht. Jetzt gibt es für Suave nur mehr eine Möglichkeit, meine Ausführungen zu kritisieren. Er bezweifelt, daß es sich bei "Beat Dis" um einen House Song handelt. Und so wie ich ihn einschätze, kenne ich auch schon sein nächstes Argument.

Suave: Hast du dir einmal den Beat angehört? Das ist doch kein House-Beat.

Kamosi: Auf das habe ich gewartet. Aber auch wenn ich mich zu wiederholen drohe, dein Begriff ist einfach zu eng. Wir werden später sehen, daß du mit deiner Anschauung wichtige Bereiche wie Acid House und Ambient House völlig ausschließt. Deshalb habe ich auch XGirl nicht verbessert, als sie gesagt hat, daß die Oberklasse "Musik" wäre, denn eigentlich könnte man die Klasse ein bißchen enger fassen und sie mit "Tanzmusik" bezeichnen, vielleicht sogar mit "elektronischer Tanzmusik", aber mit dem werden wir uns wie schon gesagt später befassen.

Suave: Gut, das möchte ich aber später wirklich noch ausgiebig diskutieren.

XGirl: Wenn ich dann auch wieder einmal etwas sagen darf, möchte ich festhalten, daß auf House Songs zwar Gitarren zu hören sein können, daß diese aber gesamplet sind.

Kamosi: Auch das wäre schön, aber wie steht es dann mit der fantastischen ersten Single "Ride On Time" von Black Box? Auf der Platte sind - wie auch auf dem Cover angegeben ist - von Musikern gespielte Gitarren zu hören. Auch wenn Suave nicht viel mit den italienischen Produktionen anfangen kann, hier handelt es sich um lupenreinen Spaghetti House.

XGirl: Ich glaube die Diskussion um Gitarren bringt uns in unserer Frage nicht weiter.

Suave: Das stimmt. Wir waren gerade dabei ein unterscheidendes Merkmal zu finden. Wenn es nach mir geht, dann ist der Beat einschließlich der Geschwindigkeit ein wichtiges Charakteristikum.

Kamosi: Der Hanseat drückt sich heute sehr gewählt aus. Aber ausnahmsweise bin ich einmal deiner Meinung. Ich mache deshalb folgenden Vorschlag. Der House-Beat besteht aus vier Vierteln, wobei die Bass Drum auf jedes Viertel schlägt. Das ist der sogenannte Four-to-the-Floor-Beat. Wichtig ist jedoch noch das offene Hi Hat, das auf den vier unbetonten Taktzeiten erklingt. Das wäre mein Vorschlag für eine Minimaldefinition eines House-Beats.

Suave: Dieses Mal muß ich dir recht geben. Die Definition ist nicht schlecht.

Kamosi: Allerdings würde ich das offene Hi Hat nicht zu einer notwendigen Bedingung machen. Es gibt zahlreiche italienische Produktionen, auf denen das Hi Hat so gut wie überhaupt nicht betont ist, oder sogar ganz weggelassen wurde. Diese Songs sollten aber deshalb nicht aus dem Rahmen fallen.

XGirl: Und was ist dann mit "Beat Dis"?

Kamosi: Für mich ist es eindeutig ein House Song, auch wenn der Beat nicht Suaves Vorstellungen entspricht.

XGirl: Was macht "Beat Dis?" für dich zu einem House Song?

Kamosi: Die Samples. Hast du dir einmal angehört, wieviele verschiedene Samples das Lied beinhaltet. Tim Simenon hat sich an mehr als 15 älteren Produktionen vergriffen und das ganze zu einem neuen Ganzen zusammengefügt. Das macht es für mich zu House.

XGirl: Ich glaube, wir haben den Samples bisher zuwenig Beachtung geschenkt.

Kamosi: Das stimmt. Schließlich hat Steve Cosgrove House wie folgt definiert: "It's DJ music, it's soul music, it's meta-music." Weise Worte, auch wenn er das vor mehr als zehn Jahren geschrieben hat, in einer Zeit, als House Music noch lange nicht so vielfältig war als heute. Der letzte Teil seiner Aussage ist meines Erachtens sehr wichtig. House Music ist Metamusik, stellt einen Bezug zu anderen Liedern her, steht sozusagen darüber, und blickt auf die vielen anderen Stile, die sie teilweise in sich aufnimmt, herab.

Suave: Und was ist mit "Keep On Jumpin'" von Todd Terry? Housiger geht's nicht mehr, aber der gute Terry hat hier keine Vocals gesamplet. Martha Wash und Jocelyn Brown singen mit ihrer unendlichen Körperfülle.

XGirl: Das stimmt.

Kamosi: Das ist eine interessanter Aspekt. Mir scheint es, als ob man im wesentlichen zwei verschiedene Arten von House unterscheiden kann: die erste Art definiert sich über die Produktionsmethode, d.h. den Einsatz von vokalen Samples; die zweite Art vor allem über den Rhythmus und den souligen Melodien.

Suave: Damit wirst du wahrscheinlich recht haben, aber eine Gemeinsamkeit müssen sie doch haben.

XGirl: Vor ein paar Minuten haben wir den Begriff der Geschwindigkeit eingeführt. Könnte vielleicht darin die Lösung liegen?

Kamosi: Du hast recht. Beide Gruppen bleiben in einem gut abgesteckten Rahmen. Die untere Grenze würde ich bei 115 BPM, vielleicht sogar 110 BPM anlegen, die obere Grenze bei ungefähr 135 BPM.

Suave: Mit diesem Rahmen kann ich sehr gut leben.

Kamosi: Folglich könnte man sagen, daß sich House Music im Bereich um 120 BPM bewegt.

XGirl: Wenn ich das richtig verstanden habe, dann definiert ihr House allein über die Geschwindigkeit. Das scheint mir ein bißchen wenig zu sein. Was macht ihr außerdem, wenn ich euch eine lupenreine Hip Hop-Platte vorlege, die zufällig mit einer Geschwindigkeit von 120 BPM aufgenommen wurde?

Kamosi: XGirl, du hast recht. Das wäre tatsächlich nicht sinnvoll. Wir müssen weitere Kriterien suchen, denn auch wenn wir uns nur die Four-to-the-Floor-Beats alleine ansehen, gibt es einige Probleme. Schließlich fällt auch Madonnas "Holiday" unter die Lieder, die einen Four-to-the-Floor-Beat haben und sich in dem genannten Geschwindigkeitsbereich befinden.

Suave: Und nicht einmal Kamosi ginge soweit, daß er Madonna zu House zählt.

Kamosi: Sag das nicht zu laut. Hast du schon einmal Ricky Crespos Remix von Madonnas "Bye Bye Baby" gehört? Oder den Junior Vasquez Remix von "Bedtime Story"? Oder die Club Version von "Human Nature"?

Suave: Schon gut. Wir sprechen hier aber von Originalversionen und nicht von Remixes, die von House-DJs produziert wurden.

XGirl: Das stimmt. Trotzdem brauchen wir noch ein paar Kriterien, die die Menge all jener Lieder, die wir durch diese Definition erhalten, einschränkt. Wie lautete der erste Teil von Steve Cosgroves Definition?

Kamosi: "It's DJ music." Ich glaube, das trifft in den meisten Fällen zu, aber sicher nicht in allen. Das macht aber auch nichts. Vielmehr tritt nun ein anderes Problem auf. Wenn unsere bisherige Definition anwendbar wäre, dann dürfte es bei folgendem Beispiel kein Problem geben: "James Brown Is Dead" von L.A. Style. Das Lied besitzt einen Four-to-the-Floor-Beat, die Geschwindigkeit stimmt und der Produzent Denzil Slemming ist ein DJ. Und doch würde keiner von uns das Lied als House Lied bezeichnen. Im Lied selbst kommt sogar die Zeile "this is Techno, House is not my home" vor. Mit unserer Definition würde House und Techno zusammenfallen.

Suave: Nein, bloß das nicht. Das würde den Untergang des Abendlandes bedeuten.

XGirl: Nun übertreibe nur nicht, Suave. Ich glaube, wir müssen uns hier mit den verwendeten synthetischen Klängen beschäftigen. Auf einem House Track würden nie solch synthetisch und metallisch klingende Sounds verwendet werden, außer man spricht von Acid House.

Kamosi: Das ist ein guter Vorschlag, XGirl, aber ich muß dich davor warnen, etwas dadurch zu definieren, indem du angibst, wie der entsprechende Begriff nicht zu verstehen ist. Im Klartext heißt das, daß du House nicht dadurch definieren kannst, indem du sagst, daß Klänge, die im Technobereich verwendet werden, nicht verwendet werden dürfen oder sollen. Trotzdem hast du uns auf den richtigen Weg gebracht. Deshalb mache ich folgenden Vorschlag: bei House Music handelt es sich zwar im allgemeinen um elektronische Tanzmusik, aber die verwendeten Sounds klingen natürlich bzw. zumindest nicht ganz steril und technisch.

Suave: Ja, damit bin ich zufrieden.

Kamosi: Nicht so voreilig, Suave. Wo würde mit dieser Definition dann der Unterschied zu "Holiday" von Madonna liegen? Denn das Lied erfüllt alle Kriterien, außerdem wurde es von Jellybean produziert, und er ist zweifellos ein DJ. Er ist sogar als "The Godfather of Remixes" bekannt.

Suave: So wie ich dich kenne, hast du auch schon eine Lösung für das Problem.

Kamosi: Stimmt. Wir müssen noch den Underground-Ethos berücksichtigen. House Music wollte nie kommerziell sein, sie war von Anfang an für ein bestimmtes Publikum in den Underground-Diskotheken gedacht. Auch wenn heute House aus den Charts nicht mehr wegzudenken ist, sollte man diese ursprüngliche Gesinnung, auf die die Szene sehr wert legt, nicht ohne Beachtung lassen.

XGirl: Dann darf ich das wieder einmal zusammenfassen: House Music ist in der Regel elektronische Tanzmusik, die einen Four-to-the-Floor-Beat besitzt, sich im Geschwindigkeitsbereich um 120 BPM aufhält, von DJs für den Underground produziert wird und hauptsächlich natürlich klingende Synthesizer-Klänge verwendet.

Kamosi: Schöner hätte ich es nicht formulieren können.

 

2. Tag

Kamosi: Ich habe mir die Definition, die wir gestern ausgearbeitet haben, und die mir für den Alltagsgebrauch wirklich sehr gut scheint, noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Dabei sind mir einige Punkte innerhalb unseres Kriteriums aufgefallen, die zwar schön klingen, aber nicht aber auf alle House-Lieder anwendbar sind. Interessant ist das vor allem deshalb, weil wir in der Praxis fast nie Probleme damit haben, einen Song zu einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Unsere Aufgabe liegt darin, diese intuitive Kenntnis wissenschaftlich zu beschreiben, um dann wiederum in der Praxis zweifelhafte Fälle leichter entscheiden zu können.

XGirl: Du hast gesagt, daß dir ein paar Schwachstellen an unserem Kriterium aufgefallen sind.

Kamosi: Ja, ich werde euch deshalb einige Lieder nennen, die wir alle drei - auch Suave - in den Bereich der House Music einordnen würden, die aber unsere Kriterien nicht erfüllen.

Suave: Da bin ich aber einmal gespannt.

Kamosi: Wie schon XGirl in ihrer Zusammenfassung erwähnt hat, erfüllt House Music "in der Regel" unsere Kriterien. Was machen wir dann aber mit den Ausnahmen? Wir müssen uns deshalb folgende Fragen stellen: Welche Kriterien werden von dem entsprechenden Lied nicht erfüllt? Und warum zählen wir es doch zu House Music?

XGirl: Welche Beispiele hast du im Kopf?

Kamosi: Der erste Begriff, der in unserer Definition vorkommt, ist "elektronisch". Auf dem Lied "Open Your Eyes" des schon erwähnten Projekts Black Box hören wir akustische Instrumente, so zum Beispiel eine Rhythmus-Gitarre.

Suave: Gut, aber alle anderen Instrumente, die wir hören, kommen aus dem Computer.

Kamosi: Damit hast du recht. Dieser Punkt ist auch jener, der mir am wenigsten problematisch erscheint. Wir haben schließlich nicht verlangt, daß ohne Ausnahme alle verwendeten Instrumente elektronisch sein müssen. Dieses Merkmal ist außerdem sowieso nicht hinreichend, denn wenn wir uns heute die Charts ansehen, dann ist sicher 90% der rein elektronisch produzierten Musik nicht House.

XGirl: Und welche anderen Beispiele sind dir eingefallen?

Kamosi: Der zweite Begriff, den wir verwendet haben, ist "Tanzmusik". Habt ihr schon einmal Jo Bogaerts fantastisches Lied "Ambient Kinsky" gehört?

Suave: Nie gehört.

XGirl: Ich kenne es. Wirklich beeindruckend. Wenn ich Klaus Kinskis Stimme über den zeitlos vor sich hin schwebenden Flächensounds höre, dann geht es mir richtig kalt den Rücken hinunter.

Kamosi: Kannst du unserem Zweifler Suave auch sagen, wie du zu diesem Lied tanzst?

XGirl: Überhaupt nicht, ich höre mir das in einem Chill Out Room auf einem Rave an. Ambient House ist die beste Musik zum Entspannen, wenn man stundenlang getanzt hat.

Kamosi: Und trotzdem spricht man im weitesten Sinn von House Music. Doch ich will noch ein paar andere Beispiele liefern bevor wir mit der Diskussion beginnen. Der dritte Begriff ist der "Four-to-the-Floor-Beat". Bei meinem folgenden Beispiel freue ich mich schon auf Suaves Gesicht. Auf dem Lied "Time And Space" von den Bucketheads, übrigens einem Projekt von Kenny "Dope" Gonzalez und Little Louie Vega, die zu den Masters At Work gehören, ein House Produzenten-Team, das mir Suave in höchsteigener Person empfohlen hat, ist ein Hip Hop-Beat zu hören.

Suave: Es ist allgemein bekannt, daß die Masters At Work sehr vom Hip Hop beeinflußt sind.

XGirl: Das ist schön und gut, aber trotzdem dürften sie nicht außerhalb unserer Definition stehen, ansonsten hat es keinen Sinn, daß wir hier tagelang herumdiskutieren.

Kamosi: O.K., ich laß das Beispiel einmal so stehen. Wir können es später weiter besprechen. Den vierten Begriff, den wir genannt haben, war "Geschwindigkeit um 120 BPM". Ich muß zugeben, daß dies der einzige Punkt ist, bei dem mir keine wirklich schönen Beispiele eingefallen sind. An der Geschwindigkeit läßt sich nämlich wirklich nur sehr schwer rütteln. Trotzdem haben wir bereits gesehen, daß es nicht sinnvoll ist, House nur aufgrund der Geschwindigkeit zu definieren. Doch nun zu den Beispielen, die ich gefunden habe: das Lied "Touch The Sky" von Cartouche hat einen sehr schönen House-Beat, aber die Geschwindigkeit ist wesentlich höher als wir akzeptieren können. Andererseits haben viele Produktionen von Frankie Knuckles, dem "Godfather of House", einen um einiges langsameren Beat.

Suave: Das Problem ist für mich leicht zu lösen. Es handelt sich hierbei einfach nicht um House Music, per definitionem sozusagen.

Kamosi: Ganz glücklich bin ich mit der Lösung nicht, aber ich glaube auch, daß es die beste Lösung ist, wenn wir diese Art der Musik nicht direkt in die Klasse "House Music" aufnehmen, sondern nur in jene, der House-beeinflußten Lieder.

XGirl: Das scheint mir auch vernünftig zu sein. Was machen wir dann allerdings mit dem Geschwindigkeitskriterium? Wie wir gesehen haben, gibt es genügend Lieder außerhalb des House-Bereiches, die dieses Kriterium erfüllen würde.

Kamosi: Ja, das ist richtig. Das Geschwindigkeitskriterium ist für House zwar ein notwendiges, nicht aber ein hinreichendes Kriterium, in andere Worten gekleidet heißt das, daß jeder House Song um 120 BPM läuft, aber nicht jeder Song, der um 120 BPM läuft, automatisch ein House Song ist. Doch nun zum fünften Begriff in unserer vorläufigen Definition, dem "DJ". Hier stelle ich gleich einmal eine Frage: Wann ist jemand ein DJ?

XGirl: Wenn jemand in Diskotheken oder auf Raves Platten auflegt.

Kamosi: Genügt es, wenn er ein einziges Mal aufgelegt hat, oder muß er das professionell machen? Ihr müßt zugeben, daß wir es hier mit einem sehr schwammigen Begriff zu tun haben. Außerdem möchte ich wieder ein paar Beispiele bringen. "Doop" von Doop. Meines Wissens nach handelt es sich bei den Produzenten von Doop, Ferry & Garnefski nicht um DJs, sondern um Konservatoriumsstudenten. Und was heißt es eigentlich, daß die Musik von DJs produziert werden muß? Genügt es, wenn in einem Produktionsteam von sieben Leuten - so viele Leute sind z.B. bei Produktionen des italienischen Media-Labels in der Regel beteiligt - ein einziger DJ dabei ist? Wir sehen also, daß uns auch dieser Begriff Probleme bereitet.

Suave: Könnten wir vielleicht diesen Punkt dahingehend abwandeln, daß in den allermeisten Fällen eine Person mit DJ-Erfahrung in irgendeiner Weise in die Produktion eingebunden ist?

Kamosi: Ja, damit bin ich zufrieden. Doch nun zum sechsten Punkt, die Musik sollte "für den Underground" produziert werden.

XGirl: Ich glaube, hier bekommen wir ein Problem mit der Zeit. Ein Song, der vor zehn Jahren für die Underground-Szene aufgenommen wurde, kann vielleicht heute sehr kommerziell sein.

Kamosi: Das hast du sehr scharf erkannt. Deshalb habe ich auch bereits erwähnt, daß in der heutigen Zeit - trotz kommerzieller Erfolge - der Underground-Ethos innerhalb der Szene wichtig ist. Ich glaube, diesen Punkt können wir deshalb ziemlich problemlos abhaken.

Suave: Ja, echten House Fans ist der Kommerz ein Greuel, wenn ich das einmal so sagen darf.

Kamosi: Du darfst, du darfst. Nun kommen wir zum siebten und letzten Begriff in unserer provisorischen Definition: "natürlich klingende Synthesizer-Klänge".

Suave: Auch wenn mir diese Forderung im Grunde genommen einleuchtet, bin ich nicht ganz damit zufrieden. Dieses Mal fällt mir sogar selbst ein gutes Beispiel ein: "I Like To Move It" von Reel 2 Real. Der Song ist nicht nur ein schönes Beispiel für einen modernen House Song, sondern wurde zudem auf meinem bevorzugten Label Strictly Rhythm, das House Label schlechthin, veröffentlicht. Trotzdem kann man die darauf verwendeten Klänge mit Sicherheit nicht als besonders naturidentisch bezeichnen. Ich glaube, das stimmen wir alle überein.

Kamosi: Ja, so gut das Lied ist, es bringt uns in eine gewisse Zwangslage. Dasselbe gilt für die Produktionen von 20 Fingers und ähnliche Lieder, so z.B. "Short Dick Man". Besonders natürlich klingt es in der Tat nicht.

XGirl: Wenn ich wieder einmal ein Ergebnis zusammenfassen darf, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als festzustellen, daß wir zu allen sieben Kriterien, die wir gestern für House Music aufgestellt haben, eindeutige Gegenbeispiele gefunden haben. Somit sind wir im wesentlichen genau dort, wo wir angefangen haben.

Suave: Sehr schön, Kamosi. Hat es das gebracht?

Kamosi: Ja, denn wir sind so zu einigen interessanten Ergebnissen gekommen, die es mir nun ermöglichen euch eine ganz neue Art der Definition vorzustellen. XGirl hat bemerkt, daß uns die Zeit manchmal Probleme bereitet. Später ist uns aufgefallen, daß auch die produzierenden Personen, die Art der Produktion und ihr Hintergrund zu berücksichtigen wäre. All diese Erfahrungen habe ich in meinen neuen Vorschlag hineingepackt. Ich möchte ihn euch jetzt unterbreiten. Damit wir einen Song klassifizieren können müssen wir uns eine Frage stellen. Unsere Aufgabe wird es sein, sie für den Bereich House Music zu beantworten. Die Frage lautet: Wer produziert was, wo, wann, wie und mit welcher Intention? Wenn es uns gelingt, diese Frage morgen zu beantworten, dann sind wir wirklich ein wesentliches Stück vorangekommen.

 

3. Tag

Kamosi: Nachdem ich euch gestern meinen neuen Definitionsversuch mit nach Hause gegeben habe, bin ich schon einmal gespannt, inwieweit ihr euch Gedanken dazu gemacht habt und ob euch irgend etwas aufgefallen ist. Vielleicht sind dem einen oder dem anderen - ich meine dich, Suave - ja auch schon ein paar Kritikpunkte dazu in den Kopf gekommen.

Suave: Ich muß zugeben, daß ich ein bißchen verwirrt bin, weil ich noch nicht ganz verstanden habe, auf was du hinauswillst bzw. wie du unser Problem damit lösen möchtest. Aber ich bin schon sehr gespannt darauf.

XGirl: Dasselbe kann ich von mir behaupten. Ich habe mir deinen Vorschlag durch den Kopf gehen lassen und bin zum Schluß gekommen, daß diese Frage sehr universell ist. Ich meine damit, daß sie nicht nur hilfreich für unser vorliegendes Problem, d.h. der Definition von "House Music", ist, sondern durchaus auch auf andere Musikstile anwendbar ist. Liege ich damit ganz falsch?

Kamosi: Ganz und gar nicht, denn auch ich hatte natürlich diese Idee im Hinterkopf. Die Frage stellt nur ein Basisschema, sozusagen ein Grundgerüst dar, das für jeden Musikstil ausgefüllt werden muß. Unsere Aufgabe ist es heute, diese Frage wissenschaftlich zu diskutieren. Es ist deshalb am besten, wenn wir wieder systematisch vorgehen.

XGirl: Soll ich uns die einzelnen Teile der Frage vorgeben, wie du das gestern gemacht hast?

Kamosi: Ja, das wäre sehr nett.

XGirl: Der erste Teil lautete "Wer?".

Kamosi: Ich gebe die Frage gleich an Suave weiter, damit er uns nicht ganz einschläft.

Suave: Ich bin hellwach und lasse euer philosophisches Artikulieren auf mich einwirken.

Kamosi: Gut, aber beantworte bitte meine Frage. Wer produziert Musik, die du als "House Music" bezeichnen würdest?

Suave: Meines Erachtens wäre es hier am besten, wenn man die Frage mit "DJ" beantworten würde, aber so wie ich dich kenne, bist du damit nicht zufrieden.

Kamosi: Das stimmt.

XGirl: Auch ich wäre damit nicht zufrieden, denn dann wären wir nicht viel weiter als gestern und da haben wir schon festgestellt, daß uns der Begriff zwar nicht in große Probleme stürzt, aber trotzdem aufgrund seiner Schwammigkeit ein gewissen bitteren Nachgeschmack hinterläßt.

Suave: Ich verstehe das, aber ist diese Frage wirklich wichtig für deine Theorie, Kamosi?

Kamosi: Bis jetzt schon. Wenn wir sie nicht beantworten, dann werden wir nie erfahren, ob wir diesen Teil in unserer Definition brauchen oder nicht. Damit ich unserer Diskussion auf die Sprünge helfe, versuche ich eure Gedanken ein bißchen von der Tätigkeit eines DJ abzubringen. Es ist besser, wenn wir ihn unter dem Aspekt des "Mensch-Sein" betrachten.

Suave: Das ist mir jetzt zu hoch.

Kamosi: Ich meine damit, daß wir uns nicht den Beruf oder das Hobby eines House-Produzenten ansehen, sondern den Menschen selbst.

XGirl: Ich verstehe schon was du meinst. Du willst, daß wir einen Menschen beschreiben, der unserer Meinung nach House Music produziert.

Kamosi: Ganz genau.

XGirl: Es klingt zwar vielleicht komisch, aber das erste was mir einfällt, bezieht sich auf das Alter. Ich kann mir keinen 60jährigen Mann vorstellen, der House Music produziert.

Kamosi: Ich muß etwas schmunzeln, denn das ist etwas, an das ich bis jetzt eigentlich noch nie gedacht habe. Aber der Gedanke gefällt mir.

Suave: Nachdem ich nun verstanden habe, was ihr unter einer Beschreibung versteht, frage ich nun ganz kategorisch: Mann oder Frau oder beides?

Kamosi: Sehr schön. Auch wenn die Frage auf den ersten Blick nicht weltbewegend scheint, finde ich es trotzdem wichtig, daß wir sie beantworten, dann ist das Thema abgehakt. Ich glaube, daß sie ganz eindeutig mit "beide" zu beantworten ist, auch wenn es leider viel zu wenig Frauen in der Szene gibt. Aber Sister Bliss, DJ und Mitglied der Gruppe Faithless, die auch sehr House-beeinflußt sind, wäre hier ein gutes Beispiel. Oder auch Marusha - sie fällt allerdings mehr in die Rave- als in die House-Szene. Aber nachdem dies nun gelöst ist, zurück zu XGirls Gedanken.

XGirl: Ja. Wie sieht es mit dem Alter aus?

Kamosi: Obwohl mir der Gedanke, hier eine Abgrenzung zu ziehen, seltsam erscheint, bin ich doch dafür, diesen Punkt genauer zu diskutieren. Ich kann mir nämlich ebenfalls keinen House-Produzenten vorstellen, der über 60 Jahre alt ist. Andererseits frage ich mich, ob wir einen Song, den DJ Pierre - er ist 1965 geboren - möglicherweise in 30 Jahren produziert, nur deshalb nicht mehr zu House zählen würden, weil er schon um einiges älter als die üblichen Produzenten ist. Das würde mir nicht sehr sinnvoll scheinen.

Suave: Aber ich bezweifle, daß er sich in 30 Jahren noch mit House Music beschäftigt.

Kamosi: Das stimmt und zeigt uns zugleich wie wir das Problem anzufassen haben. Ich glaube nicht, daß es vom Alter des Produzenten abhängt, ob wir sein Produkt in den Bereich der "House Music" zählen können, sondern ich glaube, daß diese Art der Musik in der Regel von jungen Produzenten aufgenommen wird. Die Obergrenze würde ich deshalb bei 40 Jahren ansiedeln. Andererseits fällt mir gerade ein, daß diese Frage deshalb so schwierig zu beantworten ist, weil es House Music erst seit den 80er Jahren gibt und wir natürlich nicht wissen können, ob ein Produzent, der mit dieser Musik aufgewachsen ist, sie auch noch bis ins hohe Alter produzieren wird. Das wird die Zukunft zeigen. Damit dieses Thema aber nicht zu ausufert, bitte ich dich, XGirl, um eine kurze Zusammenfassung, nachdem du uns schon mehrmals bewiesen hast, daß du das sehr gut machst.

XGirl: Danke für die Blumen. House-Produzenten sind Männer oder Frauen, deren Alter zwar nicht wichtig ist, aber die Praxis zeigt - bis jetzt -, daß es sich dabei hauptsächlich um eine junge Generation handelt.

Kamosi: Nachdem wir nun das Geschlecht und das Alter behandelt haben, was fällt euch sonst noch ein?

Suave: Vielleicht ist es nicht uninteressant, wenn wir das Thema "Kleidung" ansprechen. Vorher möchte ich aber noch sagen, daß mir unsere Charakterisierung des House-Produzenten noch viel zu weit scheint.

Kamosi: Stimmt. Deshalb schlage ich vor - auch um den Begriff "DJ" nicht zu verwenden -, daß wir den Menschen einen gewissen Bezug zu Diskotheken, zu Tanzmusik und zur dazugehörenden Szene unterstellen.

XGirl: Das gefällt mir gut. Mir ist nämlich gerade etwas dazu eingefallen. Im Gegensatz zu einigen anderen Musikrichtungen wird House Music "ehrlich" produziert. Ich meine damit, daß niemand diese Art von Musik produziert, obwohl er sie persönlich überhaupt nicht mag, nur weil er damit eine Menge Geld machen will.

Kamosi: Das klingt ziemlich idealistisch. Aber besonders in der Anfangszeit hätte dies auch keinen Sinn gehabt, da man mit dieser Musik sicher nicht reich geworden wäre. Daß es in anderen Musikrichtungen Produzenten gibt, die Musik produzieren, die ihnen eigentlich nicht wirklich gefällt, nur um damit das große Geld zu machen, das kann ich mir gut vorstellen. Ich würde hier prototypisch den Bereich der Volksmusik und des Schlagers nennen.

Suave: Ich glaube, mir kommt's gleich hoch.

Kamosi: Das kannst du laut sagen.

XGirl: Jungs, ihr schweift zu weit vom Thema ab. Nachdem wir nun festgestellt haben, daß House-Produzenten im Umfeld von Diskotheken zu finden sind, sollten wir den Punkt, den Suave angesprochen hat, und den er wahrscheinlich schon wieder vergessen hat, behandeln.

Suave: Was war das noch mal gleich?

Kamosi: Die Kleidung.

Suave: Ach ja.

Kamosi: Ich glaube, daß das ein interessantes Thema ist, daß es uns allerdings nicht sehr viel weiter bringt, weil man zwei Dinge bedenken muß: erstens, man muß unterscheiden zwischen Musik-Konsumenten und Musik-Produzenten und zweitens, House Music hat in ihrer Blütezeit nie einen richtigen Stilboom ausgelöst. Vielleicht werden mich jetzt einige Leute erschlagen wollten, aber ich behaupte das einmal.

XGirl: Ich verstehe dich. Den typischen House-Fan erkennt man - im Gegensatz vielleicht zu einem Raver oder Skater - nicht an seiner Kleidung. Auch wenn vielleicht T-Shirts mit Smileys typisch für die Acid-House-Fans waren, im Grunde genommen waren es nur normale T-Shirts. Die Kleidung sollte möglichst bequem sein, damit sie beim Tanzen nicht stört. Vergleicht man die Szene heute - man braucht nur Bilder, die auf der Love Parade gemacht wurden, anschauen -, dann sieht man, wie sehr sich die Kleidung verändert hat.

Suave: Genau. Je bunter, desto besser. Je enger, desto besser. Je knapper, desto besser.

Kamosi: Sehr gut, Suave. Ein wunderschöner Parallelismus.

Suave: Ist das wieder Philosophie?

XGirl: Nein, das ist eine literarische Stilfigur. Doch einmal davon abgesehen, hat Suave recht. Deshalb glaube ich auch, daß uns das Thema "Kleidung" momentan nicht weiterbringt. Vielleicht können wir später noch einmal darauf zurückkommen. Ich fasse deshalb zusammen. Die Frage "Wer produziert House Music?" kann wie folgt beantwortet werden: in der Regel jüngere Menschen, die in einem mehr oder weniger engen Kontakt zu den Orten, wo und den Leuten, die diese Art der Musik konsumieren, stehen. Damit können wir zur nächsten Teilfrage kommen. Soviel ich mich erinnern kann, war das: "Was wird produziert?"

Kamosi: XGirl, du läßt einen heute ja kaum zu Wort kommen. Also ... auf den ersten Blick scheint diese Frage einfach zu beantworten sein, da es uns darum geht, den Begriff "House Music" zu definieren. Auch wenn wir gesehen habe, daß der Begriff nicht einfach zu erklären ist - in den vergangenen Tagen haben wir gesehen, daß uns die Beschreibung der Musik nicht weiterbringt -, sollten wir uns trotzdem mit der Frage "Was?" beschäftigen. Wem fällt dazu etwas ein?

Suave: Mir. Da ich mittlerweile mitbekommen habe wie ihr Philosophen arbeitet, um die einfachsten Dinge komplizierter zu machen, beantworte ich die Frage ganz einfach mit "Musik".

Kamosi: Das ist schon einmal kein schlechter Anfang. Es geht hier also um Musik. Denn die ganze Frage könnte natürlich auch für einen Film- oder Theater-Produzenten beantwortet werden. Am besten ist es, wenn wir hier die Erkenntnisse der vergangenen Tage miteinbeziehen.

XGirl: Wenn ich dich bis jetzt richtig verstanden habe, dann liegt der Sinn unserer heutigen Diskussion darin, daß wir die im Grunde genommen nicht schlechte Definition, die wir am Ende des 1. Tages genannt haben, so in den aktuellen Diskurs einbauen, daß einige Mängel beseitigt werden und sie aussagekräftiger wird. Ich denke zum Beispiel daran, daß es mit Sicherheit einige Lieder gibt, die wir intuitiv nicht zu House Music zählen würden, die aber alle Kriterien erfüllen würde.

Kamosi: Ja, genau so habe ich mir das vorgestellt, denn der Hauptgrund für meine neue Herangehensweise an eine Definition ist der, daß sie eng genug sein, aber auch alle Ausnahmen miteinschließen soll. Nennt also noch einmal die wichtigsten Charakteristiken von House.

Suave: Sie sollte tanzbar sein, einen Four-to-the-Floor-Beat in der richtigen Geschwindigkeit mit dem typischen Hi Hat besitzen und Samples benutzen. Oft haben die Melodien Soul-Charakter.

Kamosi: Das war schon einmal nicht schlecht. Tanzbar sollte sie auf alle Fälle sein - mit Ausnahme von Ambient House. Die Geschwindigkeit kann man als Dogma sehen. Die Art des Beats trifft zwar auf 95% der Lieder zu, würde ich aber nicht als unbedingt notwendiges Kriterium sehen. Wir müssen uns immer vor Augen halten, daß wir momentan noch ganz allgemein über House Music reden. Die beiden letzten Punkte, die Suave genannt habe, würde ich disjunktiv verbinden, d.h. mindestens eines der beiden Merkmale sollte vorkommen. XGirl, kannst du das bitte zusammenfassen.

Suave: Warte noch einen Moment. Vielleicht sollte man noch hinzufügen, daß die verwendeten Klänge meistens nicht ganz so synthetisch klingen.

Kamosi: Ich glaube, es ist besser, wenn wir das nicht erneut nennen. Denke nur an das vorgestern erwähnte Lied "What Is House?" von LFO. Der Zweck der nun gegebenen Antwort auf die Teilfrage ist es nicht, allein ein notwendiges und hinreichendes Kriterium zu geben. XGirl, darf ich dich jetzt bitten?

XGirl: Gerne. Auf die Frage "Was wird produziert?" bekommen wir folgende Antwort: tanzbare Musik in der Geschwindigkeit 125 ± 10 BPM mit Samples oder Soul-Melodien.

Kamosi: Sehr schön. Die nächste Frage ist "Wo wird produziert?"

Suave: Natürlich im Studio.

Kamosi: Das ist schon klar, ich meinte die Frage geographisch. Also, welche Länder fallen euch bei dem Begriff "House" ein?

XGirl: Deutschland, Holland und Belgien.

Suave: USA und England.

Kamosi: Gut, dann füge ich noch Italien, Österreich und Spanien hinzu. Nicht vergessen dürfen wir Frankreich, denkt nur an Daft Punk. Insgesamt haben wir nun neun Länder aufgezählt, in denen House Music produziert wird.

Suave: Kamosi, glaubst du nicht, daß es auch schwedische House-Produktionen gibt? Mir fällt zwar kein Beispiel ein, aber wir sollten nicht annehmen, daß in fast 20 Jahren kein einziger schwedischer House-Song aufgenommen wurde.

Kamosi: Das stimmt. Es kommt aber darauf an, ob die Produzenten in einem Land einen typischen Stil haben oder sogar eine eigene Richtung darstellen. Ich muß deshalb vorwegnehmen - wir werden in den nächsten Tagen noch darüber zu sprechen kommen -, daß die Teilfrage "Wo wird produziert?" nicht primär wichtig für die Frage "Was ist House?" ist , sondern vielmehr interessant wird, wenn wir uns mit speziellen House-Varianten beschäftigen. Belgien steht für mich zum Beispiel vor allem für Acid House, während Italien mit Spaghetti House einen ganz eigenen Stil begründet hat. Darüber sprechen wir vielleicht morgen oder übermorgen.

Suave: Das ist ein schöner Schlußpunkt. Laß uns für heute aufhören. Mir dreht sich schon fast der Kopf.

XGirl: Gut, dann werde ich unsere heutigen Ergebnisse zusammenfassen. Ist das in Ordnung, Kamosi?

Kamosi: Das brauchst du heute nicht. Nachdem wir nur drei von sechs Fragen besprochen haben, schenken wir uns die Zusammenfassung. Wir wollen doch unseren guten Suave nicht überanstrengen.

Suave: Ja, ja, ich bin wieder einmal der Softie.

XGirl: Du heißt ja auch so.

 

4. Tag

Kamosi: Nachdem wir gestern bis zur Teilfrage "Wo?" gekommen sind, möchte ich heute mit dem "Wann?" beginnen.

XGirl: Laß uns gleich beginnen. Es sieht so aus, als hätte sich Suave wieder ganz regeneriert.

Suave: Ja, ja, macht euch nur über mich lustig.

Kamosi: Dann möchte ich gleich eine Frage in den Raum stellen. Wenn wir uns schon mit der Frage "Wann?" beschäftigen, dann hätte ich die Frage, ehrlich gesagt, genauer formulieren müssen. Seit wann spricht man von House Music? Bedeutet das, seit wann gibt es House Music? Oder seit wann gibt es House Platten? Oder seit wann gibt es überhaupt die Bezeichnung dafür?

XGirl: Klingt sehr interessant. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Da eine Entwicklung meistens schrittweise abläuft, ist es sicherlich schwierig, einen genauen Punkt zu finden, an dem man zum Beispiel nicht mehr von Disco sondern von House spricht. Oder ein anderer Gedanke: Gehört Musik, die wie House klingt, aber entstanden ist, bevor es noch die Bezeichnung "House Music" gab, auch dazu? Gibt es so etwas überhaupt?

Kamosi: Das sind eine Menge von sehr interessanten Fragen. Gehen wir der Reihe nach vor. Woher kommt die Bezeichnung "House", Suave, damit Du nicht einschläfst?

Suave: Von der legendären Diskothek "The Warehouse" in Chicago, in der der nicht weniger legendäre Frankie "The Godfather of House" Knuckles als DJ arbeitete. Nebenbei bemerkt beanspruchen noch einige andere DJ den Titel des Godfather für sich, so zum Beispiel auch Farley Jackmaster Funk, aber für mich persönlich ist es Frankie Knuckles.

Kamosi: Sehr gut. Seit wann arbeitete er dort?

Suave: Soweit ich weiß, seit Beginn der 80er Jahre.

XGirl: Um genau zu sein, muß man hinzufügen, daß Frankie Knuckles seit 1977 im Warehouse arbeitete, daß er aber seinen Stil erst in den darauffolgenden Jahre entwickelte.

Kamosi: Danke. Und wie kam es dazu, die Musik, die im Warehouse gespielt wurde, als "House Music" zu bezeichnen?

Suave: Einerseits, weil das Warehouse oft auch schlicht "The House" genannt wurde und andererseits, weil die Leute nach durchtanzten Nächten in den Plattenläden nach der Musik "they play down in the House" fragten.

Kamosi: Somit hätten wir die Herkunft des Namens geklärt. Zeitlich sind wir anfangs der 80er Jahre. Weiß jemand, wann es die erste House-Platte gab? Eigentlich eine rhetorische Frage.

XGirl: Das war "Music Is The Key" von JM Silk, wobei das JM - das sage ich gleich dazu - für "Jackmaster" steht. Die Platte wurde 1985 auf DJ International veröffentlicht.

Kamosi: Sehr gut. Dann schlage ich vor, daß wir - da wir ja in erster Linie über House-Platten reden - 1985 als Geburtsstunde von auf Tonträgern verfügbare House Music ansehen.

Suave: Dann können wir auf die nächste Frage übergehen, die, wenn ich mich recht erinnere, "Wie?" war.

XGirl: Du meinst die Frage "Wie wird produziert?". Spontan fallen mir da einige elektronische Geräte ein: Synthesizer, Sampler, Sequencer.

Kamosi: Das stimmt. Wie wir aber vorgestern gehört haben, werden - auch wenn nur ganz, ganz selten - akustische Instrumente verwendet. Das soll uns aber nicht stören. Eine andere Frage ist aber, ob nicht andere Musikrichtungen genau gleich produzieren.

Suave: In der Tat. Max Martin, der Produzent von Britney Spears - ich schäme mich fast, daß ich das weiß -, verwendet sicherlich auch nichts anderes.

Kamosi: Da hast Du recht. Aber unsere Definition basiert ja zum Glück nicht nur auf dieser Teilfrage. Sie wird auf alle Fälle so ausfallen, daß wir Britney, selbst wenn sie uns mit "Deep In My Heart" kommt, mit Sicherheit fern von uns halten.

XGirl: Gut, dann bin ich beruhigt.

Kamosi: Was fällt euch dazu sonst noch ein?

XGirl: Die Musik wird so produziert, daß sie eine konstante BPM-Anzahl aufweist, wenn wir einmal von "French Kiss" absehen. Außerdem spielt die Einteilung in einzelne Spuren, sogenannte Tracks, eine große Rolle. Das merkt man schon, wenn sich ein Song langsam aufbaut. Zuerst ein paar Flächensounds, dann ein Hi Hat, später vielleicht eine Snare Drum und schließlich die Bass Drum. Um den typischen Rhythmus zu schaffen, wird dem Ganzen noch ein offenes Hi Hat hinzugefügt.

Suave: Vielleicht könnte man noch dazusagen, daß dieser Aufbau ein Remixen des Songs vereinfacht, da man beliebige Spuren weg- oder andere dazunehmen kann.

Kamosi: Die Frage "Wie wird produziert?" impliziert auch die Frage wo die Produktion stattfindet, im meine damit nicht das Land - das haben wir schon gestern angesprochen -, sondern das Studio.

XGirl: Viele House-Produktionen werden in kleinen Heimstudios aufgenommen. Da man bei dem Einsatz von vokalen Samples nicht einmal einen schalldichten Raum für die Sängerin oder den Sänger braucht, kann man diese Musik auch in einem normalen Raum produzieren.

Kamosi: Du meinst in meinem Zimmer, das nicht einmal 10 m² hat.

XGirl: Ja, genau.

Kamosi: Kommen wir somit zur letzten und vielleicht sogar wichtigsten Teilfrage: die Intention. Was beabsichtigen House-Produzenten? Wofür machen sie ihre Musik? Welchen geistigen Hintergrund haben sie? Für wen machen sie Musik?

XGirl: Eine Reihe von Fragen. Ich glaube, bevor wir die Fragen beantworten, sollten wir uns im klaren sein, daß wir mittlerweile auf mindestens 15 wenn nicht sogar 20 Jahre House Music zurückblicken können, und daß sich die Intention im Laufe der Jahre geändert haben kann. Ich kann es auch gleich schon vorwegnehmen: sie hat sich verändert.

Suave: Du sprichst sicherlich die Kommerzialisierung an.

XGirl: Ja, genau.

Kamosi: Bevor wir dazu kommen? Wozu braucht ihr House?

Suave und XGirl: Zum Tanzen.

Kamosi: Ich glaube, wenn wir von Ambient House, die für Chill Out Rooms gedacht ist, absehen, ist das eine einleuchtende Antwort. Warum wollt ihr tanzen?

XGirl: Weil ich Spaß haben möchte.

Kamosi: Und warum willst Du Spaß haben?

XGirl: Weil ich die ganze Woche lang hart arbeite und mich am Wochenende entspannen will.

Kamosi: Genau auf das wollte ich hinaus. Der Erfolg von Frankie Knuckles beruhte darauf, daß er den jungen Menschen in Chicago die Möglichkeit gab, ihre Sorgen zu vergessen. Chicago ist die drittgrößte Stadt der USA und zugleich eine Industriestadt. Anonymität, Arbeitslosigkeit, wenig Zukunftsaussichten, all das hatte ursprünglich einen großen Einfluß auf House. Das Hypnotische, das Repetitive dient dazu, die Menschen abzulenken, sie in Ekstase, in Trance zu versetzen. Eine weitere wichtige Stadt im Hinblick auf die Entwicklung war sicher Detroit, ebenfalls eine Industriestadt. Auch hier herrschte dieselbe Situation. Außerdem sollte man nicht vergessen, daß House Music vor allem über Afroamerikaner oder Randgruppen verbreitet wurde. Zusammen mit der Tatsache, daß neue musikalische Trends immer durch die junge Generation leben, hat das dazu beigetragen, daß House eine Musik für den Underground war. Ein bißchen pathetisch ausgedrückt: House ist der moderne Blues der Straße.

Suave: Klingt alles sehr schön, aber ist das heute auch noch so?

XGirl: Genau das habe ich vorhin angesprochen. Heutzutage ist von dem Underground-Bewußtsein nicht mehr viel vorhanden.

Kamosi: Das stimmt. Es gibt zu viele Mitläufer, die mit der Musik Geld machen wollen - selbst Todd Terry sieht sich selbst in erster Linie als Geschäftsmann und nicht als Musiker. Außerdem ist der Markt um ein Vielfaches gewachsen und damit auch die Anzahl der Menschen, die House Music hören. Zudem ist der Einfluß von House auf Pop-Produktionen mittlerweile so groß, daß fast jedes Lied, das nicht ohnehin schon in einem schönen House-Gewändchen daherkommt, zumindest von einem angesagten DJ remixt wird. Sei es nun der vielzitierte Frankie Knuckles, der aus Michael Jacksons Schnulze "You Are Not Alone" eine tanzbodentaugliche Version machte oder Madonnas "Nothing Really Matters", das schon in der Originalversion sehr housig war, ohne aber klischeehaft zu wirken. Man kann also sagen, daß House nicht mehr nur im Underground existiert, sehr wohl aber, daß ein Bekenntnis zum Underground typisch für die echte Szene ist. Außerdem ist der Underground immer noch der beste Nährboden für innovative Ideen. Daß dann ganz andere damit das große Geschäft machen, ist eine andere Sache.

Suave: Dann sind wir nun am Ende unserer Diskussion?

Kamosi: Nein, nicht ganz. Mir fällt noch einiges dazu ein. Auch wenn Samples, wie wir gesehen haben, nicht ein notwendiges Kriterium sind, sagen sie doch sehr viel über die Mentalität aus. Vorhandenes wird verarbeitet, aus dem Alten entsteht etwas Neues, ohne dabei das Alte ganz zu zerstören. Ohne jetzt allzu philosophisch zu werden, es ist wie bei Hegels Dialektik. Das Beste aus These und Antithese wird in der Synthese auf eine neue Stufe gehoben.

XGirl: Wir wollen doch Suave nicht zu sehr plagen.

Kamosi: Noch eine Kleinigkeit möchte ich dazu sagen. Die Verwendung von Samples sollte man keinesfalls als Diebstahl sehen, sondern als eine Art Hommage, gleichzeitig auch als Bekenntnis dazu, daß man mit dem Alten nicht gebrochen hat und es ignoriert. House Music ist deshalb Meta-Musik. Ich habe es schon erwähnt, und möchte es hier noch einmal unterstreichen. Gleichzeitig möchte ich noch hervorheben, daß gerade die Tatsache, daß früher große Studios mit großem finanziellen Aufwand große Namen nach ihren Vorstellungen produzierten, dazu geführt hatte, daß mit dem Fallen der Preise für elektronische Geräte jene Leute, die abseits von Kommerz, Musik für eine ganz bestimmte Klientel machen wollten, die Möglichkeit dazu bekamen. Wesentlich ist deshalb die Unabhängigkeit von Major-Labels, Trends und Verträgen. Damit möchte ich auch unsere heutige Diskussion beenden und XGirl bitten, die Ergebnisse zusammenzufassen.

XGirl: Gerne. House Music wird von jungen Menschen produziert. Die Geschwindigkeit der Songs bewegt sich im Rahmen zwischen 115 und 135 BPM und ein Four-to-the-Floor-Beat (meistens mit einem offenen Hi Hat zwischen den einzelnen Kicks) ist ebenfalls charakteristisch. Ein Bezug zu bereits bestehender Musik - wie immer er auch aussieht - ist oft typisch. Die Musik wird fast ausschließlich in Nordamerika und Europa produziert, was aber kein Kriterium ist. Zeitlich kann man davon ausgehen, daß es vor 1985 keine House Music auf Tonträgern gab. Produziert wird mit elektronischen Geräten, zumeist in kleinen Studios, wobei auch das natürlich nicht notwendig ist. Die Musik soll tanzbar sein, um die Menschen zu unterhalten und ihnen die Möglichkeit zu bieten, aus dem Alltag zu fliehen. Das impliziert einen gewissen Trance-Faktor der Musik. Die Produzenten, die sich meistens zum Underground bekennen, möchten ihre Musik unabhängig von der musikalischen Ausbildung oder den finanziellen Möglichkeiten so aufnehmen, wie sie in ihrem Kopf existiert.

Kamosi: Sehr schön. Wenn auch etwas lang, aber das ist unsere Definition. Wenn ich sie noch etwas kürzen darf, dann würde ich vorschlagen, daß sich House Music primär durch Beat, BPM und Intention definiert. Alles andere ist sekundär.

Suave: Jetzt haben wir uns eine Pause verdient.

 

5. Tag

Kamosi: Schön, daß ihr heute noch einmal gekommen seid. Ich möchte mit euch noch die verschiedenen Varianten und Spielarten von House Music besprechen. Was fällt euch dazu ein?

Suave: Garage House, Deep House ...

XGirl: Acid House, Techno House, Dream House ...

Kamosi: Vielleicht noch Freestyle House, Ambient House, Progressive House, Latino House und natürlich Hip House. Das sind nun zehn Varianten. Ich glaube, damit haben wir genug zu tun. Beginnen wir am besten mit den bekanntesten davon, zum Beispiel Acid House. Was assoziiert ihr damit?

XGirl: Roland.

Suave: Was? Deinen Ex-Freund?

XGirl: Nein, natürlich nicht. Stell dich nicht dumm, Suave. Erstens hieß der anders und zweitens meinte ich damit natürlich den Hersteller Roland.

Suave: Schon gut. Ich weiß ja, was du meinst.

Kamosi: Und was meinte sie?

Suave: Stilbildend für Acid House war der Klang des Synthesizers Roland 303, oft auch nur 303 oder Bass Line genannt. Obwohl technisch schon längst veraltet, werden oft Unsummen für ein solches Gerät bezahlt. Es hat richtigen Kultstatus.

Kamosi: Wie würdest du den Klang beschreiben?

Suave: Synthetisch, grob, metallisch. Vielleicht sollte man noch dazusagen, daß man durch das Drehen der Knöpfe den Sound verändern konnte, was ebenfalls typisch für Acid House ist.

XGirl: Zeitlich gesehen kann man ab 1986 von Acid House sprechen. Das erste Lied hieß "Acid Trax" und war von Phuture. Wichtig ist auch der Hit "This Is Acid" von Maurice. Der Name kommt höchstwahrscheinlich von dem Slang-Ausdruck "to acid burn" mit der Bedeutung "stehlen". Gemeint war damit das Sampling. Mehr weiß ich auch nicht darüber.

Kamosi: Das ist schon eine ganze Menge. Den Höhepunkt erlebte Acid House sicher 1988 im "Summer of Love" in London. Kennzeichen der Fans waren die Trillerpfeife und die Smileys - und leider auch Drogen. Musikalisch ist Acid House härter, unmelodischer und synthetischer als House Music aus Chicago und New York.

XGirl: Vielleicht sollte man als wichtiges Element neben der Trillerpfeife noch den Schrei "Aciiiiiid" erwähnen. Und daß Belgien eine wichtige Rolle bei Acid House spielt, man denke da zum Beispiel nur an Hithouse mit "Jack To The Sound Of The Underground" und "Move Your Feet To The Rhythm Of The Beat" und Konsorten.

Kamosi: Damit hätten wir die wichtigsten Merkmale zusammengetragen. Was sollen wir als nächstes nehmen?

Suave: Ich schlage vor, wir beschäftigen uns jetzt mit Garage.

Kamosi: Das dachte ich mir. In Garagen fühlt sich Suave wohl. Deshalb schlage ich auch vor, daß wir zusammen mit Garage auch Deep House besprechen, damit Suave wieder schneller in seine Garage kommt.

XGirl: Viele Leute verwenden die beiden Begriffe synonym ... mit der gleichen Bedeutung ... für dich, Suave.

Kamosi: Das stimmt. Woher stammen die Begriffe?

XGirl: "Garage" spielt auf den ursprünglichen Ort an, in dem die Musik gespielt wurde. Also genauso wie bei House Music. In diesem Fall war es die Paradise Garage in New York City. Und "Deep" ist ein Begriff, der in Verbindung mit Soul steht.

Kamosi: Ja. Mit Garage oder Deep House bezeichnet man somit die soulige Variante von House seit Beginn der 80er Jahre. Im Grunde genommen sind es Soul- bzw. Soul-beeinflußte Songs mit einem House-Beat. Samples haben hier wenig zu suchen. Man muß dazusagen, daß gerade diese Musik dadurch entstanden ist, daß nach dem Ende der Disco-Ära und dem damit verbundenen Desinteresse der Major-Labels  tanzbare Musik möglichst billig produziert werden sollte.

Suave: Wo liegt denn nun der Unterschied?

Kamosi: Das ist eine etwas schwierige Frage. Generell kann man davon ausgehen, daß beides tanzbare Soul Musik ist, daß man aber in Chicago von Deep House und in New York von Garage House spricht. Es gibt zwar DJs, die behaupten, der Begriff "Garage" wäre in New York selbst nie verwendet worden, sondern nur von den Leuten außerhalb von NYC für die Musik in NYC, aber das läßt sich heute nur mehr sehr schwer feststellen.

Suave: Wichtige Vertreter sind zum Beispiel auf alle Fälle Ultra Naté und die Basement Boys.

Kamosi: Ja, das stimmt. Auch George Morel oder Tony Humphries.

XGirl: Wie läßt sich die Musik sonst noch charakterisieren?

Kamosi: Diese Frage ist ausnahmsweise recht einfach zu beantworten. Einmal davon abgesehen, daß diese Musik auch Einflüsse von Gospel, Funk, Jazz und Rap verarbeitet, bevorzugt man dabei gerne Klavier-, Streicher- und Bläsersounds. Auch andere natürlich klingende Sounds, wie zum Beispiel Flöten, man denke nur an "The Whistle Song" von Frankie Knuckles, sind keine Seltenheit. Nachdem wir schon bei den Flöten sind, gehen wir am besten gleich zu Ambient über.

Suave: Ambient House war ja bis jetzt immer ein bißchen problematisch. Irgendwie paßte es nie in unsere Definition.

Kamosi: Dafür ist es jetzt einfach für uns. Ambient hat keinen Beat, jedenfalls keinen durchgehenden. Es werden vor allem Flächensounds und Geräusche jeder Art verwendet, möglichst gleitend, möglichst weich. Die Musik ist für die Chill Out Rooms konzipiert und soll den Tänzern die Möglichkeit geben auszuspannen. Woher kommen eigentlich die Begriffe "Ambient" und "Chill Out"?

XGirl: "Chill Out" leitet sich aus dem gleichnamigen, ersten Album von KLF aus dem Jahre 1990 ab. Es war das erste Ambient-Album. Als typische Songs könnte man das schon erwähnte "Ambient Kinsky" von Jo Bogaert oder auch "Dark Room Rituals" von U96 nennen.

Kamosi: Ja. Und "Ambient" läßt sich bis in die 70er Jahre zurückverfolgen. Brian Eno komponierte diese Art der Musik. Man sprach von Klangbildern oder Klangwelten. Erst später kam sie jedoch mit der House-Szene in Verbindung und noch später mit der Rave-Szene. Obwohl hier ein Beat unnötig ist, bildeten sich im Laufe der Zeit weitere Mischformen, so zum Beispiel Ambient Dance und Ambient Dub, die tanzbodentauglich waren. Und damit wären wir schon bei der nächsten Variante: Dream House.

Suave: Robert Miles. Irgendwo mußte eine Platte von ihm bei mir liegen.

Kamosi: Suave hat es auf den Punkt gebracht. Zumindest hier gibt es einen einzigen Stilbegründer: Robert Miles, der eigentlich Roberto Concina heißt. Mit seinem Song "Children" und dem Neuaufguß "Fable" hat er 1995 einen kleinen Trend ausgelöst, der aber in der Zwischenzeit schon wieder abgeflaut ist.

XGirl: Der Stil läßt sich ganz einfach beschreiben. Harmonische Songs mit einer Pianomelodie. Sehr weich und zum Träumen, daher auch der Name.

Kamosi: Genau. Das ist das ganze Geheimnis. Sehr oft waren diese Lieder instrumental oder der vokale Anteil hielt sich stark in Grenzen. Gibt es noch mehr darüber zu sagen?

Suave: Nein.

XGirl: Doch. Der Trend war eine Zeit lang so stark, daß eine Menge neuer Acts aus dem Boden schossen oder bereits bestehende Projekte auf die Dream House Welle aufsprangen, wie zum Beispiel Zhi-Vago und Imperio.

Kamosi: Heute geht das ja besonders schnell. Die Übergänge drängen sich fast von alleine in den Vordergrund. Weil wir schon von schnellebigen Trends gesprochen haben, können wir gleich über Hip House weiterreden. Worauf spielt die Bezeichnung an?

Suave: Auf Hip Hop.

Kamosi: Genau. Und was sagt uns das?

Suave: Daß sich hier House von Hip Hop beeinflussen läßt.

Kamosi: Ja. War Garage Soul mit einem House-Beat, dann ist Hip House Rap mit einem House-Beat. Typische Vertreter?

XGirl: Bei euch beiden kommt man ja heute kaum zu Wort. Also, typische Vertreter sind wahrscheinlich DJ Fast Eddie und Tyree Cooper, bei dem Kool Rock Steady am Mikrophon war. Beide veröffentlichten seit Ende der 80er Jahre Platten.

Suave: Gar nicht einmal so dumm die Idee. Man verbindet House und Rap und schon verdoppelt sich die Anzahl der potentiellen Käufer.

Kamosi: So einfach ist es natürlich nicht, denn Hip House war bei echten Hip Hop Fans verpönt. De La Soul machen sich zum Beispiel auf ihrem Album "De La Soul Is Dead" sogar lustig darüber.

XGirl: Davon habe ich auch gehört. Der Trend dauerte allerdings nur ein, zwei Jahre. Und genau wie bei Dream House Jahre später schossen die Acts wie Pilze aus dem Boden: Rob'n'Raz, Snap, Technotronic, Twenty 4 Seven und wie sie noch alle hießen.

Kamosi: Technotronic lösten 1989 mit ihrer Single "Pump Up The Jam" den Boom aus. Mit dieser Art von Musik konnte man nun auch in die Charts kommen. Sicherlich, "Pump Up The Volume" von M/A/R/R/S war zwei Jahre zuvor ebenfalls in den Charts, aber die Zeit war noch nicht reif für einen Massenansturm von Projekten. Könnt ihr zum Stil noch etwas sagen?

XGirl: Hip House war ein Art von Pop Musik, im Sinne davon, daß es chartstaugliche Musik der damaligen Kids war. Rap, ein wenig Melodie und viel Beat. Einfache Botschaften, wenn man überhaupt von Botschaften sprechen konnte. Nicht umsonst kam in so gut wie jedem Song die Zeile "You got to move it" vor. Partymusik, die für gute Laune sorgen sollte.

Kamosi: Das stimmt. Und zumindest in dieser Hinsicht hatte sich Hip House von der ursprünglichen Intention etwas entfernt. Das Hypnotische fehlte.

XGirl: Ja, und schließlich entwickelte sich aus Hip House Eurodance, was schon schlimm genug ist.

Suave: Weshalb wir das Thema Hip House jetzt auch ruhen lassen. Was steht als nächstes auf dem Plan?

Kamosi: Ich würde Freestyle House und Latino House zusammennehmen.

Suave: Gut, da kenne ich mich ein wenig aus. Bei diesen Varianten geht House eine Verbindung mit lateinamerikanischen Elementen ein. Ausgegangen war diese Musik zu Beginn der 90er Jahre von den spanischsprachigen Stadtvierteln in New York. Besonders der Rhythmus ist sehr latinomäßig, weshalb diese Varianten rhythmisch auch besonders von den Vorbildern aus Chicago abweichen.

Kamosi: Kann mir jemand wichtige Produzenten nennen?

Suave: Ja, Kenny "Dope" Gonzalez und Little Louie Vega.

Kamosi: Damit hast du das Wesentliche erfaßt. Ich würde aber Freestyle nicht ganz so eng sehen. Freestyle-Produzenten lassen sich von allen möglichen Stilen beeinflussen, hauptsächlich aber von Latino- und Hip Hop-Musik, wie das Album "All In The Mind" von The Bucketheads zeigt, hinter denen niemand anders als Gonzalez und Vega stehen.

XGirl: Dann bleiben uns jetzt nur noch Techno House und Progressive House.

Kamosi: Ja, auch diese beiden können wir zusammennehmen.

Suave: Ich nehme an, hierbei handelt es sich um Stilvermischungen zwischen House und Techno.

Kamosi: Ja, und recht viel mehr läßt sich darüber auch nicht sagen, da die Begriffe zunehmend verschwimmen. Man denke nur daran, daß Turbo B. auf einer Snap-Single den eigenen Stil als "Techno House" bezeichnet. Heute könnte man damit wahrscheinlich nichts mehr anfangen. Um zur Stilbeschreibung zurückzukehren: modulierte Sounds werden gerne verwendet, Trance-Elemente finden ebenfalls Eingang und das Ganze ist oft sehr kommerziell ausgerichtet. Nehmt als Beispiel Red 5 und all das, was von Faithless' "Insomnia" abgekupfert worden ist.

XGirl: Sehr schön. Dann hätten wir jetzt alle zehn Varianten besprochen.

Suave: Ja, ich muß zurück in meine Garage.

Kamosi: Ich glaube, wir haben heute einiges Interessantes von uns gegeben. Ein paar Stile haben wir vielleicht zu wenig genau besprochen, aber nicht alles läßt sich beschreiben. Wir müssen uns immer vor Augen halten: im Grunde genommen ist House immer noch ein Gefühl.

XGirl: Das war ein schöner Schlußsatz.

Kamosi: Bis morgen.

 

6. Tag

XGirl: Was hast du heute für uns vorbereitet, Kamosi?

Kamosi: Nachdem wir in den vergangenen Tagen recht interessante Diskussionen geführt haben und zu einigen Ergebnissen gekommen sind, möchte ich heute noch ein Thema besprechen, das nicht nur House Music allein betrifft, sondern die ganze moderne, elektronische Tanzmusik.

Suave: Und was ist das?

Kamosi: Der Beat.

XGirl: Klingt sehr interessant. Die Philosophie des Beats.

Kamosi: Soweit würde ich dann doch nicht gehen, obwohl sich hinter den verschiedenen Beats oft ganz unterschiedliche Lebensauffassungen verbergen. Was ich aber heute mit euch aufbauen möchte, ist eine Einteilung der gängigsten Beats. Wenn wir zu Beginn ganz allgemein über eine Einteilung sprechen, welche zwei Merkmale sind am wichtigsten?

Suave: Ich würde sagen, die Geschwindigkeit ist sicherlich charakteristisch.

Kamosi: Ja, und was noch?

XGirl: Der Beat selbst. Der Aufbau.

Kamosi: Genau. Welches ist der einfachste Aufbau?

Suave: Der House-Beat.

Kamosi: Ganz richtig ist die Antwort nicht, denn zu einem House-Beat gehören noch zwei Merkmale, die der einfachste Beat nicht aufweisen muß.

Suave: Gut, dann formuliere ich meine Antwort neu: der Four-to-the-Floor-Beat.

Kamosi: So ist es besser. Und wie würdest du ihn beschreiben?

Suave: Eine Bass Drum auf jedes Viertel, Hi Hats und Snares.

Kamosi: Ja, mehr braucht man darüber nicht zu sagen. Ob es sich dabei um einen House- oder einen Rave-Beat handelt, hängt noch von anderen Kriterien ab. Doch welche anderen Beats kennt ihr?

XGirl: Hip Hop Beats.

Kamosi: Zum Beispiel. Wodurch zeichnen sich diese aus?

XGirl: Schwierig zu sagen. Sie sind eben keine Four-to-the-Floor-Beats.

Kamosi: Du kannst etwas nicht dadurch definieren, daß du sagst, was es nicht ist. Da ich mir aber des Problems bewußt bin, möchte ich euch zwei Begriffe unterbreiten, von denen wir ausgehen können.

Suave: Und welche wären das?

Kamosi: Grundsätzlich kann man alle Beats in zwei Kategorien einteilen: in lineare Beats und synkopische Beats. Kriterium für die Einteilung sind die Bass Drums. Befinden sie sich auf allen ganzen Zählzeiten, dann sind es lineare Beats, ansonsten synkopische. Könnt ihr damit etwas anfangen?

XGirl: Ja. Ich habe jedoch eine Zwischenfrage: Handelt es sich dabei immer um 4/4-Takte?

Kamosi: In der Regel schon. Ausnahmen sind selten. Nun haben wir eine erste Unterscheidung getroffen. Wie lassen sich die linearen Beats weiter unterteilen?

XGirl: Du hast vorher schon House- und Rave-Beats angesprochen.

Kamosi: Ja, und ich würde noch einen allgemeinen Dance-Beat hinzufügen, der zum Beispiel in Pop- und Eurodance-Produktionen verwendet wird.

Suave: Was ist mit einem Techno-Beat?

Kamosi: Sehr gut. Den hätte ich fast vergessen. Somit hätten wir schon vier Varianten des Four-to-the-Floor-Beats. Wie könnte man nun diese weiter beschreiben?

Suave: Durch die Geschwindigkeit.

XGirl: Durch die verwendeten Drum-Klänge.

Kamosi: Komplimente an beide. Die Geschwindigkeit ist mit Sicherheit ein wichtiges Kriterium. Es gibt einfach keinen House-Beat mit 180 BPM.

Suave: Man könnte vielleicht zwischen schnellen und langsamen Beats unterscheiden.

Kamosi: Wo würdest du denn die Grenze ziehen?

Suave: Langsame Beats bewegen sich im Bereich zwischen 100 und 150 BPM. Die schnellen von 150 BPM aufwärts.

Kamosi: Also für einen richtigen House-Fan sind auch schon 145 BPM ziemlich schnell. Ich glaube nicht, daß das eine besonders gute Idee ist. Danke aber trotzdem für den Beitrag. Beginnen wir vielleicht mit den Klängen, die XGirl erwähnt hat.

XGirl: Je nachdem mit welchem Beat man es zu tun hat, klingt die Bass Drum anders.

Kamosi: Das stimmt. Während House gerne breite, dicke, fette Bass Drums verwendet, finden kurze und oft verzerrte Kicks in der Techno- und Rave-Szene Verwendung.

Suave: Und was ist mit dem Dance-Beat?

Kamosi: Hier gibt es eigentlich keine genauen Kriterien, da man ihn im Grunde überall finden kann. Vom Klang der Bass Drum her ist er dem House-Beat allerdings ähnlicher als einem Techno-Beat.

Suave: Wie sieht es mit den Geschwindigkeiten aus?

Kamosi: Ich würde Techno bis ca. 150 BPM laufen lassen und alles danach als Rave-Beat bezeichnen.

XGirl: Und was ist mit Gabba?

Kamosi: Wenn wir Gabba auch noch dazunehmen, dann siedeln wir diesen Beat ab etwa 200 BPM an.

Suave: Dazu kann ja kein Mensch mehr tanzen.

Kamosi: Was machst du dann mit Mobys Platte "Thousand". Sie hat 1020 BPM und ist damit die schnellste Platte, die es gibt.

XGirl: Bevor uns allen den Kopf raucht, fasse ich kurz zusammen. Lineare Beats mit kurzer Bass Drum sind Techno mit bis zu 150 BPM, Rave mit 150 bis 200 BPM und Gabba mit über 200 BPM.

Suave: Ihr sprecht immer von der Bass Drum. Was ist mit den anderen Drums?

Kamosi: Gute Frage. Hi Hats haben so gut wie keine stilistische Bedeutung, ganz im Gegensatz zum offenen Hi Hat. Zu den Snares kann man sagen, daß sie zunehmend in der Hintergrund gedrängt worden sind, d.h. in den Anfangstagen von House waren sie noch klar und laut zu hören, man denke da nur an "The Party" von Kraze, später jedoch wurden sie immer unwichtiger - auch im House-Bereich.

XGirl: Dann kommen wir jetzt zu den linearen Beats mit der breiten Bass Drum.

Suave: Woher stammt sie eigentlich?

Kamosi: Traditionell aus den Roland Maschinen 808 und 909. Heute besitzen jedoch fast alle Synthesizer ähnliche und oft sogar bessere Kicks.

XGirl: In dieser Kategorie haben wir zwischen Dance- und House-Beat unterschieden.

Kamosi: Was sich zum Dance-Beat sagen ließ, haben wir gesagt. Wenden wir uns dem House-Beat zu. Wie läßt er sich beschreiben? In den vergangenen Tagen haben wir oft genug darüber gesprochen.

XGirl: Der House-Beat ist ein linearer Beat mit breiter Bass Drum und einem offenen Hi Hat auf den Off-Beats. Die Geschwindigkeit reicht von 115 bis 135 BPM.

Suave: Vielleicht könnte man noch hinzusagen, daß beim House-Beat im Gegensatz zu normalen Dance-Beats sehr oft ein wenig unreine, ja fast schon dreckig klingende Drum-Elemente verwendet werden.

Kamosi: Genau. Man möge sich nur "Keep On Jumpin'" von Todd Terry und "Read My Lips" von Alex Party anhören, dann ist der Unterschied klar. Damit hätten wir die linearen Beats, die für uns natürlich besonders wichtig waren, abgeschlossen. Nun zu den synkopischen.

XGirl: Sollen wir hier auch die erste Unterteilung nach der Länge der Bass Drum vornehmen?

Kamosi: Ich glaube nicht, daß das hier sinnvoll ist.

Suave: Und warum nicht?

Kamosi: Weil wir sehen werden, daß von der obersten Einteilung zwei ganz unterschiedliche Musikszenen abhängen.

Suave: Dann unterscheiden wir dieses Mal nach der Geschwindigkeit.

Kamosi: Ja. Wir haben bei den synkopischen Beats einerseits langsame, die wir der Hip Hop Szene zurechnen, und andererseits schnelle, die im Breakbeat Bereich verwendet werden. Interessant ist dabei anzumerken, es bei den synkopischen Beats kein Geschwindigkeitskontinuum wie bei den linearen gibt.

XGirl: Was meinst du damit?

Kamosi: Bei den Four-to-the-Floor-Beats können wir jeden Beat zwischen 100 und 300 BPM zuordnen und es dürfte nicht so schwierig zu sein, konkrete Beispiele zu finden. Bei den synkopischen Beats allerdings gibt es ein Loch. Wir können die Hip Hop Beats im Bereich zwischen 80 und 120 BPM ansiedeln und die Breakbeats wahrscheinlich erst ab etwa 150 BPM. Ich muß ehrlich sein und zugeben, daß ich nie nachgezählt habe, aber tendenziell müßten meine Angaben stimmen.

XGirl: Sehr interessant. Du vermutest also ein Loch zwischen 120 und 150 BPM.

Kamosi: Ja. Vielleicht gibt es einen Stil, der sich daraus bedient, mir ist er aber nicht bekannt. Und er würde mir wahrscheinlich auch nicht gefallen.

Suave: Gibt es weitere Einteilungen?

Kamosi: Ja, aber sie lassen sich nicht so einfach beschreiben. Breakbeats sind schnell, meistens aus alten Funk-, Soul- und Jazz-Platten gesampelt, und sehr oft das, was Suave "dreckig" nennen würde. Da es sich eben oft um Samples handelt, besteht der Beat aus akustischen Drums.

XGirl: Was ist mit der Bass Drum?

Kamosi: Oft sind es vier oder fünf pro Takt wie bei vielen Beats, oft auch nur ein oder zwei, wenn dafür das Hauptaugenmerk auf den Snares und Hi Hats liegt. In Fällen, in denen der Breakbeat an bestimmten Stellen über einen anderen Beat gelegt wird, so zum Beispiel auf "Wonderful Days" von Charly Lownoise & Mental Theo, spielen die Kicks fast keine Bedeutung mehr.

Suave: Und wie ist das im Hip Hop?

Kamosi: Auch hier ist eine genaue Beschreibung schwierig. Über die Geschwindigkeit haben wir schon gesprochen. Klanglich sind den Breakbeats ähnlich.

XGirl: Eine Zwischenfrage: War es nicht so, daß man früher auch die Hip Hop Beats als Breakbeats bezeichnet hat?

Kamosi: Das stimmt. Im Grunde genommen ist jeder aus einer Platte isolierte Beat ein Breakbeat. Der Begriff hat sich aber zunehmend ausgeweitet und wurde dann für jenen Stil verwendet, den wir heute Drum & Bass nennen. Da dieser Breakbeats mit schnelleren Geschwindigkeiten verwendete, ging dann die Bezeichnung auf diese schnellen Beats über. Da sich die einzelnen Breakbeats, von denen es sicher eine Unzahl gibt, kaum genau charakterisieren lassen, können wir diese Stil aufzählen, die sich dieser bedienen. Wem fällt etwas ein?

Suave: Du hast Drum & Bass angesprochen.

XGirl: Was ist mit Jungle?

Kamosi: Viele verwenden die Begriffe synonym, meines Erachtens ist aber Jungle eine besondere Variante von Drum & Bass, die sich über die Bassline und leichte Reggae-Einflüsse definiert. British Hardcore ist übrigens die ursprünglich Bezeichnung für Drum & Bass. Damit hätten wir das Wichtigste genannt. Nun zurück zu den langsamen Beats.

Suave: Du hast gesagt, daß es weitere Charakterisierungen gibt.

Kamosi: Auch wenn es eine Menge verschiedener Hip Hop Beats gibt und noch mehr Varianten davon, werden drei Arten von Beats besonders gerne benutzt.

XGirl: Welche?

Kamosi: Den ersten nenne ich den "Soul 2 Soul"-Beat, weil er von Soul 2 Soul als erstes verwendet wurde. Nellee Hooper war maßgeblich daran beteiligt. Populär wurde er auch durch Enigmas "Sadeness" oder DNAs "Tom's Diner". Den zweiten nenne ich "Power"-Beat, weil er auf Snaps Debütsingle "The Power" zu hören ist. Und den dritten bezeichne ich als "De La Soul"-Beat, weil er auf "Ring Ring Ring" von De La Soul besonders schön zur Geltung kommt. Nebenbei bemerkt, hat ihn auch Mariah Carey auf früheren Produktionen verwendet. Aber wie gesagt, das sind nur drei von vielen. Wenn wir neuere Produktionen anhören, wie zum Beispiel jene von Music Instructor, dann gäbe es Stoff genug, um noch lange zu reden.

Suave: Aber da wir alle drei nicht Music Instructor anhören, müssen wir auch nicht darüber reden.

Kamosi: Ausnahmsweise bin ich ganz deiner Meinung. Und damit sind wir am Ende unserer geistigen Reise durch das Phänomen "House Music".

 

7. Tag

XGirl: Und was machen wir heute?

Suave: Ja, das möchte ich auch gerne wissen.

Kamosi: Heute hören wir uns all jene Platten an, über die wir die vergangene Woche gesprochen haben.

Suave: Nur jene?

Kamosi: Nein, auch alle anderen, solange es nicht Britney Spears oder Music Instructor ist.

XGirl: Gut, dann beginnen wir mit "Can You Feel It?" von Fingers Inc..

Kamosi: "Let there be House. And House Music was born."

 

(C) 1999 by Christian Zelger