Ausdrücke aus dem Vinschgau

 

A Apfäntfrauatoog

Stimmen wir uns ein wenig auf Weihnachten ein. Die Apfäntzait wurde früher (auch ohne Dauerbeschallung) wesentlich intensiver erlebt. Man bereitete sich auf das Weihnachtsfest vor, Rorategehen am Morgen und Rosenkranzbeten waren an der Tagesordnung. Beides gehörte dazu. Ein besonderer Tag in dieser Zeit der Erwartung war der Apfäntfrauatoog (auch Apfäntfrauntoog), der vorige Woche am 8. Dezember als Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens gefeiert wurde. Ein Tag, der noch heute in mehreren Ländern als gesetzlicher Feiertag begangen wird, so auch bei uns. Schüler kommen zu einem freien Tag und die Geschäftsleute freuen sich über Kundschaft in kaum vorstellbarer Quantität aus südlicheren Gefilden. Zum Apfäntfrauatoog gehörte auch, dass der Pfarrer den Mädchen und Jungfrauen eine Standespredigt hielt, war dieser Tag doch besonders ihnen gewidmet. Dabei war der theologische Hintergrund des Festes von Anfang an umstritten und wird, nebenbei erwähnt, von evangelischen, orthodoxen und altkatholischen Christen abgelehnt. Im Spätmittelalter diskutierte man, wie es denn möglich sein konnte, dass Maria als „normaler“ Mensch Teil des Erlösungswerkes sei. Ganz einfach: Maria selbst wurde ohne Sünde empfangen – für viele eine wenig überzeugende Lösung. Doch das stört weder den Schüler, der sich über einen unterrichtsfreien Tag freut, noch den Händler, der seine Keramikengel an Mann, Frau und Wohnwagen bringt.

 

D Draist vnd Tait

„Ich nehme die rote Kreide, Frau Lehrerin, ader?“ An diesen Satz kann ich mich noch gut erinnern. Ich war in der 1. Klasse der Grundschule, die damals noch Volksschule hieß, und einem meiner Mitschüler, nennen wir ihn Ivan, ist hier ein kleiner sprachlicher Fehler unterlaufen. Für viele Kinder, damals wie heute, beginnt der engere Kontakt zur Hochsprache erst mit dem Eintritt in die Schule. Die Unsicherheit, nun plötzlich Schriftsprache sprechen zu müssen, zeigt sich hier in dem Wörtchen „ader“. Eigentlich wollte Ivan „oder“ sagen, aber er glaubte, einem dialektalen „ou“ müsse immer ein hochsprachliches „a“ entsprechen. Für einige Fälle gilt dies tatsächlich; denken wir nur an Toul und Tal. Ein schönes historisches Beispiel aus dem Vinschgau, das bestens zu dieser Episode passt, entdecken wir im hinteren Schnalstal, um genauer zu sein, in einem Pfostenspeicher neben dem Marchegger-Hof. Dort finden wir einen über vier Wände geschriebenen Gebetstext, der wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert stammt. Egon Kühebacher, der wohl bekannteste Sprachforscher Südtirols, hat sich 1977 im „Schlern“ damit auseinandergesetzt. Eine Zeile des Textes wollen wir uns genauer anschauen: TO PIS MEIN VÖLS VND MEIN STÖRCH UND MEIN DRAIST WEN MIER DER STRENGE TAIT IETS NIT MER DAN („Du, [Herr], sei mein Fels und meine Stärke und mein Trost, wenn mir der strenge Tod jetzt nichts mehr tut.“) Der Schreiber hat versucht, ein ihm dialektal geläufiges Gebet in Hochsprache wiederzugeben. Dazu einige Anmerkungen. Erstens: Der Schreiber verwendet „TO“ für „Du“, da er nicht immer zwischen dem harten „t“ und dem weichen „d“ unterscheidet – typisch für den Dialektsprecher. So werden in Tiroler Dialektwörterbüchern alle Wörter, die mit „t“ und „d“ beginnen, stets gemeinsam gereiht. Zweitens: Das „PIS“ bedeutet „sei“ und nicht „bist“, wie man vielleicht vermuten könnte. Der Schreiber gebraucht hier den mittelhochdeutschen Imperativ „bis“, so wie wir auch heute noch zahlreiche dialektale Ausdrücke verwenden, die sich aus dem Mittelhochdeutschen erhalten haben (z. B. Eïrta, gabig, Liismer). Drittens: Bei „DRAIST“ und „TAIT“ ist dem Schreiber derselbe Fehler wie Ivan in der 1. Klasse unterlaufen. Ein „åa“ (wie in Tråast und Tåat) kann hochsprachlich ein „o“, aber auch ein „ai“ sein (z. B. råat = rot; Påan = Bein). Irrtümlicherweise nahm er den zweiten Fall an und glaubte, er müsse „Tåat“ mit „Taitverhochsprachlichen. Ein wundervolles Beispiel dafür, was passieren kann, wenn der Dialektsprecher Hochsprache verwendet und unsicher ist. Und wie sieht es umgekehrt aus? Dazu ein kleines Experiment: Wenn Sie das nächste Mal eine Apotheke wegen eines Aspirins aufsuchen, verlangen Sie probeweise Azetiilsaliziilsair. Aber hoffentlich nur zum „Draist“ und nicht gegen den „Tait“.

 

E Eïslheïbm

Es gibt Bräuche, die – werden sie nicht heute schriftlich festgehalten – in wenigen Jahren vollkommen in Vergessenheit geraten. Das Eïslheïbm gehört wahrscheinlich dazu und es wäre schade darum. Der früher unter anderem in Schlinig, Schleis und Schluderns verbreitete Brauch kreiste um den letzten Getreidehalm und die letzte Garbe auf dem Feld. In Zeiten, in denen die Arbeit mühsam und erholende Unterhaltung im Vergleich zu heute selten war, entwickelten sich eben unterschiedliche Rituale rund um die Arbeit. In Schluderns zum Beispiel versteckte man im entferntesten Teil des Ackers eine Flasche mit Rotwein, den man Eïslpluat nannte. Wurde nun der letzte Getreidehalm abgeschnitten, strich einer der Schnitter mit dem Wetzstein über den Sichelrücken und erzeugte so einen schrillen Ton. Das war das Signal für alle, dass es Zeit war, das „Eselblut“ zu trinken. Oder anderenorts: Wenn auf einem Feld nur mehr wenige Halme standen, erschallte die Aufforderung „Iez ränn! Heïb in Eïsl!“ Der Gehilfe, dem die Aufforderung galt, rannte los und krallte sich an die letzten verbliebenen Halme. Die anderen folgten ihm. Standen nun alle um den so genannten Eïslschwåaf, wurde er mit einer schnellen Bewegung abgeschnitten und der Gehilfe fiel unter großem Gelächter um. Es gab eben weder RTL noch PRO7.

 

F Fäachn

Es dürfte für niemanden neu sein, wenn ich erwähne, dass in der Wirkung oft ein großer Unterschied besteht, je nachdem wie (!) ich etwas von mir gebe. Man denke nur an das Beispiel „Freisetzung von Arbeitskräften“, wenn man damit aber „Massenentlassungen“ meint. Auch im Dialekt gibt es für eine Vielzahl von Fällen verschiedene Begriffe, einer davon ist vielleicht neutral, der andere kann durchaus forscher oder grober sein. Da der Sommer nun endlich den Weg in den Vinschgau gefunden hat, passt das Wort „Sommersprosse“ gut zum Thema (wörtlich übrigens im Sinne von „aufsprießender Hautfleck“). Im Vinschgau verwendet man dafür gerne den Ausdruck „Fäachn“, fast ausschließlich in der Mehrzahl, da eine Sommersprosse selten alleine auftritt. Der Ursprung des Wortes liegt im Althochdeutschen: „feh“ bedeutete damals „bunt, verschieden, ungleich, mannigfaltig“. Man kann sich allerdings auch etwas weniger gewählt ausdrücken und einem netten sommersprossigen, also „fäachatn“ Gesicht verbal mit dem Begriff „Fluigaschiss“ nähern. Ein Sommerflirt wird daraus höchstwahrscheinlich nicht werden.

 

Fåckatoschg

Mals. Vor einigen Jahrhunderten. Punkt Mitternacht. Ein Bauer hört aus seinem Schweinestall hinter dem Haus laute Schreie. Er begibt sich hinaus, um nach dem Rechten zu sehen und entdeckt seine verstorbene erste Frau, die mit Ruten auf die Schweine einschlägt. So heftig, dass die armen Schweine entsetzt durcheinander laufen und versuchen, auf die Wände zu springen. Der Bauer fragt die Verstorbene, warum sie denn die Tiere quäle und die Angesprochene antwortet: „Ich habe bei meinen Lebzeiten den Schweinen gegeben, was ich armen Leuten geben sollte, und kann nur dann Ruhe finden, wenn ich die größte Sau in meine Gewalt bekomme. Überlass mir freiwillig das Tier, dann will ich davongehen und nicht mehr wiederkommen.“ Der Bauer übergibt daraufhin der Frau das Schwein, sie setzt sich auf das verlangte Tier und reitet auf demselben davon und in den nahen Bach hinein, wo sie damit verschwindet. So weit die „Tatsachen“ nach Johann Adolf Heyl. Das, was man den Schweinen gemeinhin gibt, wird im Vinschgau als Fåckatoschg bezeichnet, ein meist aus Küchenabfällen bestehendes Futter. Ob die Frau eher zu ihrem Seelenheil gefunden hätte, wenn sie die Küchenabfälle armen Menschen gegeben hätte, sei dahingestellt. Interessanter ist, dass sich der Fåck aus einem althochdeutschen „farh“ entwickelt hat und sich der „Toschg“ als Wort für Minderwertiges oder Schlechtes sogar im Norwegischen („tosk“) oder Portugiesischen („tosco“) findet. Verbales Abwerten scheint universal menschlich zu sein.

 

Faschaangält

Wir schreiben das Jahr 2010. Die Anzahl der Menschen, die immer häufiger über das Internet einkaufen, egal ob es sich dabei um elektronische Geräte, Bekleidung oder Einrichtungsgegenstände handelt, steigt kontinuierlich. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Verkaufsmodelle (ohne natürlich einen Namen zu nennen, denn dieser Beitrag wird schließlich nicht durch Produktplatzierung finanziert). Es ist beispielsweise möglich, die eigenen Waren gegen eine Provision auf einer Plattform samt Bild und Beschreibung anzubieten und darauf zu hoffen, dass sie ein Interessierter zu einem angemessenen Preis ersteigert. Ist die Beschreibung des Produkts in einer Sprache verfasst, die der Interessent nicht versteht, so übernimmt ein anderer Internetdienst die Übersetzung derselben. Ja, das ist heute alles möglich, ohne dass ein Mensch eingreift. Blicken wir hundert Jahre zurück, in das Jahr 1910. Ein Bauer entscheidet, sich auf einem Viehmarkt nach neuen Kühen umzusehen. Auf dem Markt trifft er auf einen Faschaan, der sich als Vermittler und Berater anbietet, sich aber auch als Dolmetscher betätigt und so als Zwischenglied zwischen dem Käufer und dem Verkäufer auftritt. Die Bezeichnung „Faschaan“ lässt sich höchstwahrscheinlich auf ein lokales „fascian“ als Bezeichnung für einen Bewohner des Fassatales zurückführen. Selbstverständlich sind die Vermittlungs- und Übersetzungsdienste nicht ganz kostenfrei und der Faschaan bekommt seinen finanziellen Anteil am Geschäft, womit wir beim dialektalen Ausdruck „Faschaangält“ sind. Es hat sich nicht viel verändert.

 

Fätzener

Früher hat man den Oktober als Weinmonat oder Weinmond bezeichnet. Der Vinschgau ist zwar traditionell nicht als ausgesprochene Weingegend bekannt und auch heute noch das kleinste Weinanbaugebiet Südtirols, er hat sich aber in den letzten Jahrzehnten zu einem zunehmend geschätzten Gebiet mit interessanten Spitzenweinen entwickelt. Die Weingüter befinden sich zu einem großen Teil am Hang des Sonnenberges, die Böden sind sandig und lehmig und der Humusgehalt ist gering, weshalb eine künstliche Bewässerung unabdingbar ist. Aber dafür ist der Vinschgau ohnehin bekannt. Wenn man bedenkt, dass es mittlerweile gut 300 Winzer gibt, mehrere Gemeinden als DOC-Gebiete anerkannt sind und der Vinschgauer Weinbauverein in diesem Jahr sein 30. Jubiläum feiert, dann kann man von einer bemerkenswerten Erfolgsgeschichte sprechen. Dass aus dem Vinschgau allerdings guter und auch anderenorts geschätzter Wein kommt, war nicht immer so. Ganz im Gegenteil. Noch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hat man hierzulande Wein nur für den eigenen Bedarf angebaut und der Wein aus Vetzan, der sprichwörtliche Fätzener, war gewöhnungsbedürftig. Manche beschreiben ihn als einen „eher rauen Burschen“ und böse Zungen behaupten sogar, der Essig, den man Jesus am Kreuz gegeben hätte, wäre in Wirklichkeit Wein aus Vetzan gewesen. Worin liegen nun die Gründe für den Wandel? Der Erfindungsreichtum der Vinschger Weinbauern spielt dabei sicherlich eine genauso große Rolle wie klimatische Veränderungen. Ob sich hinter diesen allerdings der ultimative Beweis für die Klimaerwärmung versteckt, können Klimaskeptiker und Erwärmungsgläubige bei einem Glas guten Vinschger Wein diskutieren.

 

Fochaz

Der Schmärznsfraita liegt hinter uns, die Pålmpuschn in Kortsch und Kastelbell sind im Stall verstaut, der Wachapfinzta und das Juudasfrprännen sind vorbei, die Tauferer schon lange betend von Kreuz zu Kreuz gewandert, das Heilige Grab ist aufgestellt und mit Åaschterkuuglan geschmückt, anstelle der Glocken (die in Rom weilen) hat man in vielen Dörfern die Ministranten mit ihren Ratschen vernommen, kurzum, die Åaschterwärbwoch ist Vergangenheit. Je näher man dem Osterfest kommt, desto dichter wird das Brauchtum und desto reichhaltiger die Tradition. „Es ist für den sinnlichen Menschen darum so wichtig, dass er durch Sinnliches zum Übersinnlichen erhoben werde“, hat Pater Lorenz Leitgeb schon 1905 dazu geschrieben. Doch es gibt auch profanere Bräuche rund um das Osterfest. Ein beliebtes Kinderspiel zum Beispiel ist das Guffen oder Päckn. Dabei werden – anfänglich weiße, nicht gefärbte – Eier aufeinandergeschlagen, zunächst spitzes Ende gegen spitzes Ende, dann sind die flachen Seiten an der Reihe. Der Besitzer des Eies, das dabei unversehrt bleibt, erhält das zerbrochene als Siegestrophäe. Nicht vergessen werden sollte schließlich die Tradition des Fochaz (von lat. focus = Herd), ein rundes und süßes Brot, das die Kinder von ihren Paten bekommen; ursprünglich ein runder Laib Brot in Form eines Sonnenrades und dazu noch drei Eier. Bleibt im Grunde nur mehr eine österliche Frage zu klären: Können Osterhasen wirklich Eier legen?

 

Fraithouf

Allerheiligen steht vor der Tür und traditionell ist damit ein Besuch auf dem Friedhof verbunden. Dabei wird der Verstorbenen gedacht, die dort – so hoffen wir – ihren Frieden gefunden haben. Dass der Friedhof allerdings nichts mit Frieden zu tun hat, dürfte wenig bekannt sein. Besonders im oberen Vinschgau spricht man gerne vom Fraithouf. Ignaz Zingerle schreibt in seinen 1850 erstmals erschienenen „Sagen aus Tirol“: „Einmal schaute der Malser Türmer um Mitternacht auf den Freithof hinab. Da sah er, daß die Toten aus den Gräbern gestiegen waren und allerlei Tänze aufführten.“ So beginnt die gruselige Sage des Malser Totentanzes. Wie wurde nun aber aus dem Fraithouf der Friedhof? Im Mittelhochdeutschen hatte man den Gottesacker noch „vrîthof“ geschrieben; gemeint war damit ein eingefriedeter (!), also ein begrenzter Raum vor der Kirche, der für die Toten bestimmt war. Als im 12. Jahrhundert die so genannte neuhochdeutsche Diphthongierung einsetzte, wurde aus einem langen „i“ lautlich ein „ai“, und damit aus dem vrithof der Fraithouf. Die eigentliche Bedeutung hatte man später vergessen, so wurde das ursprüngliche „vrit“ als „Fried“ umgedeutet. Volksetymologie nennt sich dieser Vorgang und tritt oft dann auf, wenn ein unbekannter Ausdruck nach dem Vorbild eines vertraut klingenden Wortes angepasst wird. Den Malser Wächter fand man übrigens – vom Turm geworfen – am Morgen tot auf einem Grab liegen. Wirklich gruselig!    

 

frrett

Wir kennen die Situation alle. Zuerst wird einmal gejammert, geschimpft oder protestiert. Nie und nimmer könne man einverstanden sein und akzeptieren, was man zutiefst ablehnt. Dies gilt für den durchschnittlichen Alltag ebenso wie z. B. für Wissenschaft oder Politik. Dass es dann oft ganz anders kommt, sagt eine Menge über uns Menschen aus – im positiven wie im negativen Sinne. So werden aus überzeugten Gegnern mitunter glühende Verehrer, manchmal über die Zwischenstufe der Gleichgültigkeit, manchmal aber auch ohne diese. Warum man seine Meinung so problemlos radikal ändert, ist eine faszinierende Frage. Vielleicht ist es so zu verstehen, wie im Falle des deutschen Politikers Konrad Adenauer, der auf eine plötzliche und für manchen unverständliche Kehrtwendung sinngemäß geantwortet haben soll „Es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.“ Noch bemerkenswerter sind allerdings die sprachlichen Bilder, die wir zur Beschreibung solcher Situationen verwenden. Der Dialektsprecher kennt (wie so oft) ein besonders schönes: „A frretts Präatl håt a siaßes Rantl.“

 

Fuierschtellar Pluatschtellar

 

G Gäawåadl

Eine angeschlagene Gesundheit ist unangenehm, aber darüber zu reden, ist eine ganz andere Angelegenheit – man braucht nur älteren Herr- und Frauschaften in der Vinschgerbahn zuzuhören, dann bemerkt man, dass es kaum ein ergiebigeres und dankbareres Thema gibt. Blicken wir ein wenig in die Vergangenheit. Von allen Organen war besonders die Lunge anfällig für Infektionen. Die Tuberkulose zum Beispiel ging meist mit einer Abnahme an Körpermasse einher und hieß deshalb auch Auszehrung, Abserbung, Dörre oder Schwindsucht. In Meyers Konversationslexikon aus dem Jahre 1888 wird als Grund „der Hunger mit all den düsteren Helfershelfern, dem Mangel an Licht, Luft, Reinlichkeit, guter Kleidung, Wärme etc.“ genannt. Auffallend an der Lungenschwindsucht ist der hohl klingende Husten, weshalb sie, fast schon lautmalerisch, als „Klumper“ bekannt war, eine Bezeichnung, die übrigens an die „Klumpra“, eine große Schelle, erinnert. Und wer stark hustet, der „kriiglt“ auf gut Vinschgerisch. Daneben plagten Ruhr, Cholera und Typhus die Menschen; in Europa ist die Gefahr heute jedoch weitgehend gebannt. Alle drei Krankheitstypen werden in der Regel von Durchfall begleitet, wofür es im Vinschgau neben „Durchfiar“ einen originellen und wesentlich plakativeren Ausdruck gibt: Gäawåadl. Wer an der „Gäawåadl“ leidet, der sollte nicht zögern, sondern „schnell gehen“, damit er es noch rechtzeitig an den Ort der Erleichterung schafft.

 

gabig

Was verkehrt, falsch, ungeschickt, launig, eigensinnig, schief, böse, unrecht, halbverrückt, verrückt oder links statt rechts ist, dafür hatte der Dialektsprecher schon immer einen ganz besonderen Riecher. Man denke nur an die häufig benutzten Begriffe „letz“ und „lingg“. Eine heute in vielen Vinschger Orten und Seitentälern nur mehr selten verwendete Vokabel, die all diese Nuancen wie keine andere ausdrückt, ist „gabig“. Es handelt sich hierbei um einen Begriff, der sich, wie viele andere wunderbare Dialekt-Beispiele, aus dem Mittelhochdeutschen (1050-1350) erhalten konnte und sich auf „abich“ und „ebich“ zurückführen lässt. Dabei kann man, wie der Sprachexperte Johann Baptist Schöpf in seinem Werk „Tirolisches Idiotikon“ betont, davon ausgehen, dass die Wörter „abich“ und „gabich“ identisch sind. In manchen Gebieten wird die erste Variante bevorzugt, in anderen die zweite, manchmal bestehen beide nebeneinander. Daher finden wir auch in anderen Tiroler Dialekten ähnlich lautende Ausdrücke; so sagt man zum Beispiel im Passeiertal „gaabe“ – „uane glått, uane gaabe“ bedeutet beim Stricken „eine Masche glatt, eine verkehrt“ – und in Deutschnofen „eïbi“, um nur zwei Gebiete zu erwähnen. Und deshalb hat sich jemand auf gut Langtauferisch eben dann verschluckt, wenn man ihn verärgert sagen hört: „Iaz isches mr in gabiga Schlunt ouchi ...“

 

Gåffrawåsser

Manche Wörter legen eine lange Reise zurück. Im hier vorliegenden Fall beginnen wir auf der Insel Sumatra in Südostasien, setzen unseren Weg nordwestlich nach Indien fort, von dort aus nach Persien, dem heutigen schlagzeilengebeutelten Iran, und Griechenland, der Wiege unserer abendländischen Kultur, und landen schließlich in Europa mitten in den Alpen. Die Rede ist von Kampfer, auch Campher geschrieben, oder dialektal Gåffra. In Wasser angesetzt ergab er das bis nach dem Zweiten Weltkrieg bei Vielen beliebte Gåffrawåsser. Einige Blättchen, die man in der Apotheke kaufen konnte, wurden mit Wasser in eine Flasche gegeben und einige Zeit ruhen gelassen. Je länger das Gåffrawåsser stand, desto schärfer wurde es. Reich an ätherischen Ölen besitzt es einen charakteristischen, wohlriechenden, zum Teil aromatisch-holzigen, ja sogar eukalyptusartigen Geruch. Eingesetzt wurde das Gåffrawåsser als Durstlöscher, Verdauungsmittel oder auch als Medizin für und gegen alles, zum Beispiel um den Kreislauf anzuregen. Auf jedem Hof und in jedem Haus war es zu finden; wer Bedarf hatte, nahm einen Schluck aus der meist allgemein zugänglichen Flasche. Heute wird es kaum mehr getrunken. Erstens ist ein häufiges Trinken wegen einiger giftiger Inhaltsstoffe nicht zu empfehlen und zweitens gibt es ein fast unüberschaubares Sortiment moderner Durstlöscher – die vielleicht auch nicht immer gesund sind.

 

Gåtz

Vorige Woche feierte der Nationalstaat Italien den 150. Jahrtag seiner Gründung. Am 17. März 1861 hatte Vittorio Emanuele II. von Sardinien-Piemont auf Beschluss des ersten gewählten italienischen Parlaments den Titel eines „König von Italien“ angenommen. Der Rest ist mehr oder weniger bekannte Geschichte. Dass dieser (Feier-)Tag nun in Südtirol ganz unterschiedlich aufgenommen wurde, konnte man in aller Breite und Länge der lokalen Presse entnehmen. Ob man an den Feierlichkeiten teilgenommen hat, offiziell oder inoffiziell, oder vielleicht hinter vor- oder weggehaltener Hand über die Waltschen hergezogen ist, mag an dieser ansonsten doch recht unpolitischen Stelle keine Rolle spielen. Dass der Volksmund abwertende Benennungen für den Nachbarn oder den unliebsamen Fremden kennt, dürfte außer Frage stehen. Eine bei uns ohnehin kaum bekannte und auch sonst nur mehr sehr selten verwendete Bezeichnung für Südländer im Allgemeinen und Italiener im Besonderen ist Katzelmacher. Der Begriff hat, entgegen vielfacher Meinung, nichts mit den beliebten Haustieren zu tun, sondern lässt sich auf das spätlateinische „cattia“ zurückführen, aus dem sich das deutsche Wort „Gatzel“ entwickelte. Diese hölzernen Schöpflöffel wurden vielfach von italienischen Schnitzern hergestellt und verkauft, wodurch diese eben zu den Katzelmachern wurden. Das Küchenutensil kennt man auch im Vinschgau. Ein sehr alter Ausdruck, heute noch am ehesten im Schnalstal bekannt, ist „Gåtz“ und bezeichnet dort eine Suppenkelle.

 

girschtas Prout

Es gibt eine Zeitschrift, die von Lesern (und Nicht-Lesern!) mitunter als „vegetarisches Kampfblatt“ bezeichnet wird. Sie setzt sich in fast jeder Ausgabe mit alternativen Nahrungsmitteln auseinander. Fleisch zum Beispiel sollte man gar nicht essen, dafür aber Tofu-Würste und Soja-Schnitzel; Zucker ist ohnehin das Gift par excellence, hier gibt es Abhilfen aus Agaven oder Stevia und auch beim Mehl könnte man seinem Körper Besseres tun, als ihn mit weißem Weizenmehl zu belasten. Getreidesorten gibt es zuhauf und dementsprechend sind die Alternativen zum Weizen zahlreich: Roggen, Hafer, Buchweizen, Mais uvm. Aus Gerstenmehl beispielsweise ist es durch den sehr geringen Anteil an Gluten sehr schwierig, Brot zu backen. Das hält einige Überzeugte aber nicht davon ab, es in allen möglichen Varianten zu versuchen. Dass man damit auch im Vinschgau Erfahrung hat, bezeugen Ausdrücke wie „girschtas Meïl“ und „girschtas Prout“. Gemischt mit anderen Mehlsorten verleiht die Gerste dem Brot einen erdigen Geschmack. Ohne Erde kein Getreide und kein Mehl ... aber muss es gleich erdiges Brot sein?

 

glickseeli

Nachdem Julius Caesar vor gut 2.050 Jahren halb Europa erobert hatte, ärgerte er sich über das Kalenderchaos in den Provinzen. So verfügte er im Jahre 46 v. Chr. unter anderem, dass das Jahr nicht wie bisher üblich am 1. März, sondern am 1. Jänner beginnen muss. Dieser Schritt war zwar bereits früher beschlossen, aber nicht in die Tat umgesetzt worden. Seltsamerweise vergaß man, die Monate neu zu benennen, so sind September, Oktober, November, Dezember heute nicht mehr siebter, achter, neunter, zehnter Monat. Aber das ist eine andere Geschichte. Rund um den Neujahrstag hat sich ein reichhaltiges Brauchtum entwickelt. So wurde u. a. in Kortsch, Eyrs und Tschengls um zwölf Uhr mittags das neue Jahr eingeschellt. Die Kortscher Buben trafen sich dazu im Oberdorf beim letzten Bauern und beteten das Mittagsgebet. Dann zogen sie schellend von Hof zu Hof und erhielten dafür Äpfel (die es heute dort im Überfluss gibt). Auch in Stilfs rückten die Burschen aus, sangen ein Neujahrslied und erbaten den Segen für das kommende Jahr, ein Brauch, der auch in Planeil, Matsch, Lichtenberg und Tannas zu finden ist. Den Kindern gab man dann Kekse, Krapfen, Nüsse oder ein wenig Geld. „A glickseelis Nuijoor, s Krischtkindl afn Altoor, di Muatergottes drneebm – Gäa, kanntsch mr it aa a Kraizerle geebm?“

 

Griit

In den 80er Jahren hat sich der ostfriesische Komiker Otto Waalkes in einem seiner berühmten Sketches mit dem menschlichen Körper beschäftigt, genauer mit dem, was sich „unterhalb der Gürtellinie“ befindet. Es war überraschenderweise „das männliche Knie“ – womit ihm damals die Lacher des Publikums sicher waren. Was sich aber tatsächlich unmittelbar unter der Gürtellinie befindet, dafür hat der Vinschger ein eigenes Wort: „di Griit“. Die bekannten Autoren, die sich mit Dialekten auseinandersetzen, definieren sie wie folgt: „Winkel, den die Oberschenkel bilden“ (Schatz), „Becken“ (Kaserer), „Genitalbereich, wo die Hosenbeinstränge zusammenlaufen“ (Thöni), „die auseinandergespreizten, eine Gabel bildenden Schenkel“ (Schöpf), „Schritt“ (Lanthaler) und „Grätsche“ (Gruber). Zurückzuführen ist der Ausdruck auf das mittelhochdeutsche „griten“ für „Beine auseinanderspreizen“. Rund um dieses Stammwort lässt sich eine ganze Wortfamilie finden. Zum Beispiel gibt es ein passendes Verb dazu, es heißt „griitn“ und bedeutet „breitbeinig gehen“, „o- oder x-beinig gehen“, „beschwerlich gehen“. Ebenso zu dieser Wortfamilie gehören die Ausdrücke „Griiter“ für eine Person, die Schwierigkeiten beim Gehen oder als „årmer Griiter“ ganz allgemein Probleme hat, die Verkleinerungsform „Griiterle“ wird gerne für einen Knaben oder ein Kind verwendet und die „Hintergriit“ ist ein netter, umschreibender Ausdruck für das Hinterteil. Und am Ende haben wir sogar eine Wendung im Angebot. Der eingangs erwähnte Otto und seine Späße sind mittlerweile auch in die Jahre gekommen und irgendwann wird es dann heißen: „Deer drgriitats aa nimmer!“

 

Gschwischtergschwäafl

Wer heute seine Cousine heiraten möchte, braucht dazu keine besondere Genehmigung. Früher hingegen waren die Vorstellungen der Kirche, wann eine Eheschließung zulässig war, viel strikter. Das in seiner alten Form bis ins 20. Jahrhundert für alle Katholiken verbindliche Kanonische Recht sah vor, dass bis zu einer Verwandtschaft 4. Grades eine Dispens, also eine Verbotsbefreiung beantragt werden musste. Wenn Brautleute beispielsweise einen gemeinsamen Ururgroßvater hatten – was in ländlichen Gegenden kaum zu vermeiden war –, galt das schon als Ehehindernis. Es ist deshalb nahe liegend, dass sich in den Dialekten zahlreiche Ausdrücke für Verwandtschaftsverhältnisse finden lassen. Wenn der Dialektsprecher in der Benennung auch nicht immer präzise ist, so ist das Vokabular doch vielfältig, vor allem wenn es darum geht, Cousinen zu bezeichnen. Neben „Basl“ und „Vettr“ gibt es im Vinschgau einige besonders reizvolle Begriffe. „Gschwischterkind“ macht deutlich, wer gemeint ist: die Kinder zweier Geschwister, also Cousin oder Cousine. Bei „Gschwischtertoune“ sind es schon die Enkel eben genannter Kinder; wir würden dazu Nachcousin oder Cousin 2. Grades sagen. Und besonders schön, vor allem weil der Ausdruck nicht einmal in der Standardliteratur Tiroler Mundartforschung aufscheint, „Gschwischtergschwäafl“, Cousinen, die noch weiter entfernt sind. Für eine Heirat bedurfte es trotzdem oft einer kirchlichen Dispens.

 

Guldanåmp

Lassen wir für einen Moment die Christkindlmärkte, den klebrigen Glühwein, die Scharen von Touristen und das unvermeidliche „Last Christmas“ beiseite (wenn es doch wirklich das letzte Weihnachten wäre, an dem dieses Lied die Gehörgänge verstopft). Der Advent, vom lateinischen „adventus“ (Ankunft), ist – wie der Name schon sagt – die Zeit, in der sich die Menschen auf die Ankunft des Herrn vorbereiten. Da diese Zeit schon seit jeher einen herausragenden Stellenwert im Leben der Gläubigen eingenommen hat, wundert es nicht, wenn die Mutter Kirche mit einer Vielzahl von Besonderheiten für ihre Schäfchen aufwartete und so zahlreiche Bräuche initiierte, die zum Teil heute noch gepflegt werden. Dazu gehört u. a. das Guldanåmp (auch „guldane Åmp“ oder „Änglåmp), eine Frühmesse, die in der Adventszeit morgens um 5 oder 6 Uhr gelesen wurde und, wie konnte es anders sein, für die Kirchgänger mehr galt als eine normale Messe. Deshalb wurde dieses Amt auch als golden bezeichnet. Damit reiht sich der Begriff bestens unter seine sprachlichen und kulturellen Verwandten ein: Die Goldene Messe (wenn sie besonders feierlich und festlich ist), das Goldene Jahr (wenn es ein herausragendes Jubeljahr ist), das Goldene Fasten und natürlich der Goldene Sonntag – da sind wir wieder bei Christkindlmarkt, Glühwein und „Last Christmas“.

 

Gutterle Pitterle

 

H Hoobergåaß

Der Schrei ist unheimlich; er geht durch Mark und Bein; und man hört ihn stets in nächtlicher Dunkelheit. Kein Wunder, dass dadurch oft gespenstische Gedanken ausgelöst werden. Urheber dieses akustischen Schreckens ist ein Nachtvogel, der im Volksmund Hoobergåaß genannt wird. Je nachdem, welche Quelle man konsultiert, ist damit ein Uhu, eine Eule oder ein Waldkauz gemeint, aber wahrscheinlich sind alle drei Zuordnungen korrekt. Es gibt allerdings noch eine andere Bedeutung. Lassen wir zunächst die Gåaß beiseite, dann bleibt immerhin noch der Hoober. Der Dialektsprecher bezeichnet damit den Hafer – das „b“ anstelle des „f“ stammt noch aus dem Mittelhochdeutschen (mhd. haber). Während man den Roggen als Brotgetreide verwendete, war der Hafer typisches Futter für das Vieh. Der Hafer verweist damit ins Reich der Tiere, im Volksglauben aber auch an den Anfang des Ackerbaus und somit in heidnische Zeiten. Die sagenhafte Hoobergåaß muss wohl als ein Vegetationsdämon entstanden sein und wurde erst später zu einer Spuk- und Schreckgestalt herabgestuft. Auch von der äußerlichen sprachlichen Form hat sie eine interessante Wandlung durchgemacht. Ursprünglich war sie eine „caper-Geiß“, also eine Bocksgeiß. Erst eine volksetymologische Umdeutung hat daraus die Hoobergåaß gemacht, wodurch eines der ersten zahmen Haustiere mit dem oft als europäischen Urgetreide bezeichneten Hafer verknüpft wurde. Wie auch immer: Eine Hoobergåaß zu sehen, gilt vielfach als böses Omen. Ob ein schrill schreiender Vogel im Dunkeln oder eine zwittrige, dreibeinige Bocksgeiß furchteinflößender ist, sei jedem Leser selbst überlassen.

 

K Kaiwärch

Süd-Tirol ist nicht Italien. Schluderns ist nicht Schlanders. Langtaufers ist nicht Indien. Oder doch? Den ersten Wahlspruch finden wir immer wieder auf Aufklebern und Plakaten über das ganze Land verteilt, der zweite ist eine Parodie auf den ersten und kursiert regelmäßig im Internet, doch was hat es mit dem dritten auf sich? Im genannten Tal, das heute auch als Tschunglai bekannt ist, hören wir noch ab und zu den schönen, alten Dialektausdruck „Kaiwärch“. Gemeint ist damit ein ungebührliches, oft sogar anzügliches Verhalten (besonders typisch in der ermahnenden Wendung „Tiat et Kaiwärch traibm!“). Woher kommt aber der Ausdruck? Einen Hinweis könnte uns nicht zum ersten Mal das Alemannische liefern. Dort wird „gehei“ bzw. „kei“ für etwas Ärgerliches, Verdrießliches verwendet. Dieses Wort lässt sich vom Mittel- und Althochdeutschen über das Griechische bis zur heiligen indischen Sprache Sanskrit zurückverfolgen. So schnell kommt man vom „Toul“ nach Indien.

 

Kalfåkter

Dialekte sind wunderbar. Wer sich damit beschäftigt – nicht nur mit der eigenen Mundart, die unsere tatsächliche Muttersprache ist –, lernt immer wieder Neues. Es ist ein Blick in die Zukunft unserer Sprache, wenn man feststellt, welche Ausdrücke leider nicht mehr verwendet und zum Teil auch gar nicht mehr verstanden werden. Gleichzeitig ist es immer auch ein Rückblick auf unsere Vergangenheit. Walther von der Vogelweide ist allen als bedeutender Lyriker des Mittelalters bekannt. In vielen dialektalen Ausdrücken überlebt seine Sprache, das Mittelhochdeutsche, das in so vielen Dialektwörtern zu finden ist. Einen ganz anderen Fall haben wir mit dem Vinschger Ausdruck „Kalfåkter“ (oder „Kolfåkter“). Durch ihn wird ein Taugenichts, auch ein schmutziger Mensch bezeichnet, mitunter ein ungezogenes Kind. Der Ursprung des Wortes liegt hier im Lateinischen: „calefactor“ hat die Bedeutung „Heizer“. Kaum bekannt sein dürfte, dass es für Hilfskräfte das hochsprachliche „Kalfaktor“ gibt. Dieser Ausdruck wird bei uns in der Schriftsprache nicht verwendet – im Dialekt hoffentlich noch lange.

 

kåntrawaltsch

Heute, am 8. Mai, vor genau 68 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Es war der blutigste, brutalste und menschenverachtendste Krieg, den die Erde je erlebt hat. Etwa 55 Millionen Todesopfer galt es zu betrauern, darunter Millionen, die einfach anders waren, die nicht dazugehören sollten. Der Mensch hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem Fremden und dem Anderen. Das zeigt sich selbstverständlich auch in der Sprache, vielleicht sogar vor allem in der Sprache. Auch wir leben in einem Land, in dem es viele „Andere“ gibt, zum Beispiel die „Waltschn“. An und für sich ist der Ausdruck (von ahd. walhisc) neutral, bezeichnet er doch lediglich die romanische, in diesem Fall italienische Bevölkerung. Der negative Beigeschmack, den das Wort im Laufe der Zeit bekommen hat, zeigt sich gleich in mehreren Zusammensetzungen: Wenn jemand durch und durch italienisch ist, dann ist er „schtockwaltsch“ (was nicht als Kompliment gemeint ist); versteht man sein Gerede kaum, dann spricht er „krautwaltsch“ und wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, dann ist es sogar „kåntrawaltsch“.

 

kaschtigaarn

Auch wenn wir glauben, in (und mit) deutscher Zunge zu sprechen, um es etwas pathetischer auszudrücken, so ist unsere Sprache doch ein unendlich vielfältiges Mischmasch. Wer sich über das Schlamassel in der italienischen Politik aufregt, spricht Jiddisch; wer an einem knappen Bikini Gefallen findet, verwendet ein polynesisches Wort und diejenige, die nun im Herbst ihren Bikini gegen einen warmen Schal tauscht, tut dies mit einem persischen Begriff. Wieso sollte dies im Dialekt anders sein? Auch im Vinschgau finden wir diese Vielfalt. Neben den bekannten Überbleibseln aus dem Alt- und Mittelhochdeutschen sind das Lateinische („ålb“), Griechische („Pfinzta“), Rätoromanische („Glatsch“), Alemannische („Gluuf“), Jenische („horzn“), Französische („Paraplui“) und Italienische („Kapaari“) ergiebige Quellen. Das schöne „kaschtigaarn“ mit den Bedeutungen „plagen“, „quälen“ oder „in die Enge treiben“ lässt sich ebenfalls auf ein italienisches Wort zurückführen, in diesem Fall „castigare“. Wenn also jemanden die Flöhe plagen, sagt man hier am besten: „Di Fläach hooman schäan kaschtigaart!“

 

Ketter

Der Ketter (Homo super-venostanus) ist im oberen Vinschgau zwischen dem Långkraiz und Reschen heimisch und gedeiht dort seit vielen Jahrhunderten. Sein Lebensraum ist geprägt von einem durch Sedimentablagerungen entstandenen Schwemmkegel, der als größter der Alpen gilt, und durch zwei Seen. Der Boden ist fruchtbar und wird von diesem vorwiegend landwirtschaftlich genutzt. Der Ketter ist seit jeher von lebhaftem Temperament, stattlichem Aussehen und mit einer außerordentlichen Portion Traditionsbewusstsein ausgestattet. Zudem besitzt er ein originelles Verhältnis zur Wahrheit. Besonders in früheren Zeiten ernährte er sich am Morgen in erster Linie von Kaffee und Riibl. Er unterscheidet sich von den südlicher wohnenden Unterarten des Homo venostanus unter anderem in der Verwendung des Wortes "kett" (eigentlich "ghett") für das Partizip Perfekt von "haben", woher sein Name rührt, was einen Austausch mit dem alemannischen Sprachraum nahelegt. Wenn ein anderer Ketter  das Zeitliche segnet, kommentiert er das gerne mit Sätzen wie „Deïr håt aa laimer Ermatai kett!“

 

Kirchatuurn

Dass mit Kirchatuurn ganz einfach ein Kirchturm gemeint ist, dürfte keinen Leser erstaunen. Und dass das „n“ am Ende des Dialektwortes ein Überbleibsel des mittelhochdeutschen „turn“ für Turm ist, dürfte ebenso wenig überraschen. Immer wieder wurde an dieser Stelle auf diese zwischen 1050 und 1350 gesprochene Sprachstufe des Deutschen hingewiesen. Eine erwähnenswerte Geschichte, in der ein Kirchturm eine zentrale Rolle spielt, betrifft Latsch.  An einem Sonntag kamen die Bauern des Ortes zusammen, da der Bürgermeister etwas Wichtiges zu verkünden hatte. Auf dem Kirchturmdach würde das herrlichste und üppigste Gras wachsen. Da es sich dabei um Gemeindegrund handle, solle man darüber beraten, wie das Gras zur Fütterung verwendet werden könne. Mehrere Vorschläge wurden gemacht und ebenso schnell wieder verworfen. Allgemein wurde jedoch bezweifelt, dass sich jemand finden lässt, der aufs Dach steigt und das Gras mäht. Zu groß sei die Gefahr. Doch dann hatte Josefs Sohn Michael, vulgo Seppmuch, eine zündende Idee: Man solle einen Stier mit einem Flaschenzug auf das Kirchendach hieven. Gesagt, getan. Dem Stier wurde ein Strick um den Hals gelegt, er wurde hinaufgezogen, als er aber oben ankam, schien er wenig Begeisterung für die saftige Mahlzeit zu zeigen. Man ließ ihn verwundert wieder herunter und bemerkte, dass der Stier nicht mehr lebte. Man hatte ihn stranguliert. Doch die Latscher sind mit ihrem Missgeschick nicht allein. Eine ähnliche Geschichte wird auch über die Bewohner der Nordtiroler Orte Uderns, Karres und Pill erzählt.

 

Klaubauf

Der Ausdruck in der Titelzeile passt sowohl zum Abschlussfest nach der Apfelernte, als auch zum Krampus. Bleiben wir schon aus Gründen der Aktualität bei der zweiten Bedeutung. Das Brauchtum rund um den Nikolaus ist im Vinschgau sehr reichhaltig, zum Beispiel in Stilfs, Langtaufers und Mals, um nur drei Orte zu nennen. Der Krampus tritt – im Unterschied zu dem bei uns nicht gebräuchlichen Knecht Ruprecht – meist in größeren Gruppen auf und gehört zum alpenländischen Adventsbrauchtum mit langer Tradition. Einige Historiker, und damit werden sie nicht ganz falsch liegen, führen den Brauch auf heidnische Zeiten zurück, vielleicht sogar keltischen Ursprungs. Wer zwischen lautes Schreien, Kettenrasseln und Schellenläuten gerät, kann sich durchaus in lang vergangene, finstere Zeiten zurückversetzt fühlen. Noch ein anderer Gedanke: „Daß man für uns den heiligen Niklas oder, besser, den mit dem heiligen Niklas wandernden »Klaubau« als Furchtmittel bei der Erziehung angewendet, will ich nicht allseitig loben. Aber eine Erziehung ohne Furchtmittel gibt es nicht, und gewiß gibt es kein besseres Betragen vor Gott sich verantwortlich zu machen!“, schreibt der Geistliche Lorenz Leitgeb vor etwa 100 Jahren. Man stelle sich vor, welche Reaktionen diese Aussage – heute als Leserbrief in einer lokalen Tageszeitung veröffentlicht – auslösen würde. Verbitterte Befürworter auf der einen Seite, grenzenlos aufgeklärt Scheinende auf der anderen. An einer echten, respektvollen und konsensorientierten Diskussion sind beide Lager nicht interessiert. Das riecht nach Arbeit für den Klaubauf!

 

Knapperle

Es ist für mich eines der schönsten Vinschger Wörter und in der Wendung „a Knapperle täan“ auch eines der wohltuendsten – und nötigsten. Hektik treffen wir an allen Orten; Geschäfte, die nicht durchgehend geöffnet haben, verlieren Kunden und Vieles, das in der Vergangenheit in den Medien verbreitet wurde, deutet in eine Richtung, die überhaupt keine freien Geschäftstage mehr akzeptiert. Rubel, Euro und Dollar müssen rollen. Auf der anderen Seite haben wir „neudeutsche“ Wörter wie „Wellness“ und „Burn-out“ in unseren Wortschatz aufgenommen, weil wir mit dem ersten das zweite verhindern wollen. Dabei wird seit kurzem immer öfter Burn-out bei Kindern festgestellt, weil – man lese und schüttle den Kopf – ihr Terminkalender zu voll sei und sie zu wenig schlafen. Was machen wir mit unserer Zeit? Die Chinesen haben das Recht auf einen Mittagsschlaf sogar in ihrer Verfassung verankert. Und an der Universität Klagenfurt wurde 1990 ein „Verein zur Verzögerung der Zeit“ gegründet. Manchmal geht man mit der Zeit am besten um, wenn man einem Knapperle erlaubt, einfach ein Knapperle zu sein.

 

Kraanawit

Wenn man ein Buch kaufen will – der Welttag des Buches wurde eben erst am 23. April begangen –, so ist es durchaus hilfreich, wenn man die ISBN-Nummer kennt. Technisch gesehen kein Problem, sprachlich hingegen schon. Wenn man über das HIV-Virus spricht oder ein Handy mit LCD-Anzeige besitzt, dann liegt übrigens dasselbe Problem vor. In den drei erwähnten Abkürzungen steckt schon der nachfolgende Begriff: Das N in ISBN steht für Nummer, das V in HIV für Virus und das D in LCD für Display, also Anzeige. Ebenso könnte man an dieser Stelle über Kraanawitholz schreiben. Womit wir endlich beim Thema wären. Kraanawit (manchmal auch Kraanamit) ist der noch weithin bekannte Ausdruck für Wacholder. Das genügsame Zypressengewächs kommt meist auf trockenen Böden vor und wird auf vielfache Weise genutzt. Die Beeren zum Beispiel enthalten zwar leicht giftige ätherische Öle, werden aber doch zum Aromatisieren von Speisen, wie Wildgerichten und Sauerbraten, sowie von Spirituosen, wie Gin und Wacholderschnaps, verwendet. Das schon genannte Kraanawitholz hingegen wird gerne zum Räuchern genutzt. Sprachgeschichtlich lässt sich der Begriff auf die Wörter „kran“ für Kranich und „wite“ für Holz zurückführen. Wenn man also von Kraanawitholz, von Kranichholzholz spricht, begeht man eine unnötige Verdoppelung. Genauso könnte ich am Bancomatschalter meine PIN-Nummer vergessen.

 

Kuntrawant

Ihr Toren, die Ihr im Koffer sucht! / Hier werdet Ihr nichts entdecken! / Die Contrebande, die mit mir reist, / Die habe ich im Kopfe stecken.“ So schreibt der deutsche Schriftsteller und Journalist Heinrich Heine 1844 in seinem köstlich-satirischen Werk „Deutschland – Ein Wintermärchen“. Mit den erwähnten Zeilen nimmt er die preußischen Zollkontrolleure aufs Korn, die ihn filzen und Schmuggelware in seinem Gepäck suchen, dabei befindet sich das Verbotene und wirklich Gefährliche – sein kritischer Geist – allein in seinem Kopf. Mit dem Schmuggeln kennt man sich auch im Vinschgau bestens aus. Allerdings wurde hier vor allem Profaneres über die Schweizer Grenze geschleust, zum Beispiel Zigaretten, Kaffee und Saccharin. Ganze Generationen haben damit ihren Lebensunterhalt verdient. Im Vinschgau ist dafür der Ausdruck „Kuntrawant“ bekannt, der sich auf das italienische „contrabbando“ für „Schmuggel“ zurückführen lässt. Schauen wir, wie es mit der Eurozone, den Spritpreisen und der Meinungsfreiheit in Europa weitergeht. Vielleicht wird das Schmuggeln wieder einmal richtig interessant.

 

L Laitpitten

Es wird noch einige Zeit vergehen müssen, bis der Schockzustand, in den das Tal und das Land durch das tragische Zugunglück geworfen wurden, überwunden ist. Kaum jemand, der nicht einen persönlichen Bezug zum Unfall hat – und wenn es „nur“ darum geht, dass man jemand kennt, der zufällig nicht im Zug saß oder mit dem Schrecken davon gekommen ist. Ausgerechnet die Latschånder, diese wunderschöne, sagenumwobene Klamm zwischen Kastelbell und Latsch, die als Grenze zwischen Unter- und Mittelvinschgau gilt, wird von nun an unweigerlich mit dem Unglück verbunden sein. Der Tod war immer ein allgegenwärtiger Begleiter des Menschen und das Brauchtum, das sich deshalb rund um das Sterben entwickelt hat, war und ist sicherlich eine Hilfe, mit der Trauer fertig zu werden. In Taufers im Münstertal gibt es den Brauch des „Laitpittens“. Stirbt eine Person, sorgen die so genannten „Laitpitter“ dafür, dass die Nachricht verbreitet und der Zeitpunkt des Begräbnisses bekannt wird. Außerdem kümmern sie sich um die nötigen Helfer bei der Beerdigung. Diese Laitpitter waren in der Regel weiter entfernte Verwandte, oft bis zum sechsten oder siebten Grad, also nicht unmittelbar Betroffene, aber gerade in schrecklichen Momenten wie diesen braucht es eine Gemeinschaft, die zusammensteht

 

Langasfeïgl

Wer dreißig Jahre alt ist, der zählt dreißig Lenze, hat also schon dreißig Frühlinge erlebt. Dabei ist „lenze“ eine Kurzform des mittelhochdeutschen „langez“, einem Begriff, den wir noch heute für die Jahreszeit nach dem Winter verwenden. Der Weg in den verdienten Frühling ist oft ein beschwerlicher, wenn man das Wetter der letzten Wochen betrachtet. Für den Zeitraum der Wochen vor dem 21. März – oder im Falle des heurigen Jahres dem 20. März – gibt es im Vinschgau zahlreiche Bräuche rund um die letzte Kälte und die heiß ersehnte Wärme. So war es zum Beispiel in Taufers im Münstertal üblich, dass die Schulbuben zu Beginn des Monats mit einem Schellenumzug den Frühling weckten. In Kortsch spielte man zum diesem Zweck hingegen noch bis zum 1. Weltkrieg das Wilde-Mann-Spiel und in Tarsch bei Latsch war es das Gregorispiel. Der Feiertag des Hl. Gregor am 12. März war zudem jahrhundertelang ein Schulfesttag, im Vinschgau hat er sich sogar bis ins 19. Jahrhundert erhalten können. Beliebt war das Gregorisingen, bei dem Lehrer und ihre Schüler mit Trommeln und Pfeifen durch das Dorf zogen und die Veränderungen in der Natur herbeimusizierten. Und wenn dann im Frühling nicht nur die Vögel auf den Bäumen zwitschern, sondern auch noch die Nassschneelawinen ins Tal stürzen, dann „singan di Langasfeïgl“.

 

Långkraiz

Es ist etwa 22 Meter hoch, der Querbalken misst 9 Meter und es steht auf der Malser Haide. Die Rede ist vom Långkraiz, einer historischen Landmarke im oberen Vinschgau. Das Kreuz mit dem Kreis und den Befestigungsdrähten ragt einsam im Gelände empor und markiert die alte Grenze zwischen den Gerichten Glurns/Mals und Nauders. Erwähnt wird es schon im Mittelalter, seit mindestens 1258 ist es als Zollgrenze urkundlich belegt. Das heutige Långkraiz ist eine Nachbildung älterer Exemplare. Immer wieder war es umgefallen und wurde neu aufgestellt – aber nicht immer an derselben Stelle, wie ein Blick auf Peter Anichs Landkarte von Tirol aus dem Jahre 1774 zeigt. Dort ist es auf der Höhe des Südufers des Haider Sees an der Straße eingezeichnet. Doch das Långkraiz hatte nicht nur die Aufgabe Gerichtsbezirke zu trennen, sondern war mit dem Kreis wohl auch als Abwehrzeichen gegen böse Mächte zu verstehen, insbesondere gegen die wilde Jagd, die man für heftige Winde und Schneestürme verantwortlich gemacht hatte. 1648 wurde es wieder einmal neu aufgestellt. Jakob Grafinger, der damalige Abt des Klosters Marienberg, schreibt: „bin ich auf die hayd geritten, alda man das 56 schuech hohe Großschreuz aufgricht [...] Sein in die 30 Pferd beisammen gewesen. Nachdem man etwas gestritten, voneinander zochen.“

 

Larmschtång

Manchmal steckt der Teufel im Detail. Als Larmschtång bezeichnet man eine mit Stroh umwickelte Holzstange, die beim Scheibenschlagen verbrannt wird. Aber der kulturelle Reichtum einer Gegend zeigt sich eben auch dadurch, dass jeder Ort seine Eigenheiten pflegt und im Detail Identifikation findet. In Mals zum Beispiel ist die Larmschtång in einer einfachen, ursprünglichen Form ohne Querbalken zu finden. Wandert man in Richtung Lichtenberg, so erhält sie immer mehr die Form eines Kreuzes mit seitlichen Stangen. In Prad gibt es sie mit Querstange und einem Dreieck, das mit der Spitze nach unten liegt, worin der eine oder andere sogar eine männliche Rune erkennen möchte. Sie brennt zuerst, ihr folgen die Holepfann und eine Feuerrad. Im schon erwähnten Lichtenberg besteht sie aus einem hängenden Trapez, das analog als weibliche Rune aufgefasst werden kann. Detail hin, Detail her. Man ist sich immerhin einig, dass es sich dabei um uralte Kultbräuche handelt: Die Feuer, begleitet von Geschrei und Lärm, dienten dazu, Geister und Dämonen zu verscheuchen. Womit wir wieder beim Teufel wären.

 

Lergat

Lergater lergatn Lergat“: Was wie ein Zungenbrecher klingt, beschreibt einen Vorgang, den man früher in heimischen Wäldern beobachten konnte. Lergat ist das Harz der Lärche – auch bekannt als Lärchenterpentin – und der Lergater ist der Lärchenharzsammler. Dazu wurden die Nadelbäume am Stammansatz angebohrt; hier war der so genannte Lergatpourer gefragt. Die angebohrte Stelle wurde nun mit einem Holzpflock abgedichtet; so konnte im Inneren des Baumes im Laufe von Monaten die für Lärchen typische pechartige Flüssigkeit zusammenfließen. Zwei Mal pro Jahr wurde das Harz gesammelt, im Frühling und im Herbst. Dazu wurde der Zapfen herausgezogen und die Flüssigkeit in einem Behälter aufgefangen; hilfreich waren dabei Lergatziacher und Lergatleffl. Da man vom Lergatn recht gut leben konnte, gab es Wälder, in denen fast jede Lärche angezapft wurde. So war es nur eine Frage der Zeit, bis man das Anbohren verboten hatte, zum Beispiel vor über vierhundert Jahren in der Tiroler Landesordnung von 1603. Wofür hat man nun dieses Lergat verwendet? Es scheint ein Allzweckmittel gewesen zu sein. Schon Plinius berichtete von der Zubereitung und der Verwendung von Lärchensalben bei Rheuma, Gicht und Ischias. Das Lärchenterpentin ist wundheilend, schleimlösend, hustenstillend und durchblutungsfördernd, wurde als Zugsalbe und zur Behandlung von Furunkeln und eitrigen Wunden bei Mensch und Tier ebenso verwendet wie zum Schmieren von Peitschen, als Klebstoff oder als Balsam unter der Bezeichnung „Venezianisches Terpentin“. Ein Veneziano der anderen Art.

 

Liismer

Dära muass ma chrommi Strömpf lisma“ – ihr muss man krumme Strümpfe stricken, so heißt es sprichwörtlich im Großen Walsertal, wenn man sagen möchte, dass jemand krumme Beine hat. Die Walser sind vor etwa 700 Jahren aus dem westlichen Oberwallis zugewandert und haben sich im heute österreichischen Bundesland Vorarlberg niedergelassen. Sprachlich ist das deshalb interessant, weil sie sich dabei ihr Hochalemannisch mehr oder weniger bewahrt haben. Was hat das alles mit dem Vinschgau zu tun? Der Ausdruck „lisma“ für „stricken“, wie er im eingangs erwähnten Ausspruch verwendet wurde, ist typisch für die Schweiz, folglich für den alemannischen Sprachraum. Obwohl das Vinschgerische wie alle Tiroler Mundarten zu den südbairischen Dialekten gehört, finden sich immer wieder eidgenössische Einflüsse, vor allem im oberen Vinschgau. Bedingt ist dies natürlich durch die geographische Nähe, aber auch durch die historische Verbundenheit. Das Wort „lismen“ gab es – wie bei so vielen anderen Beispielen – auch schon im Alt- und Mittelhochdeutschen. Es hätte sich demnach ebenso in anderen Tiroler Tälern erhalten können. Dass es sich aber im Vinschgau ins Heute retten konnte, hängt mit der schon erwähnten Nähe zu den Schweizer Nachbarn zusammen. Wenn also ein Vinschger verzweifelt nach seiner Strickjacke sucht, dann fragt er ganz einfach: „Wou isch mai Liismer?“

 

Luggmilch

Auf den Vinschger Berghöfen, auf denen man weniger Korn angebaut und deshalb auch weniger Mehl zur Verfügung hatte, entwickelte man alternative „Mehl“speisen. Man konzentrierte sich auf Milch und Butter, denn sehr fett gekochte Gerichte vermochten auch in geringen Mengen zu sättigen. Doch es mussten nicht immer Mehlspeisen sein. Beim Buttermachen wurde der flüssige Rahm in den Butterkübel geschüttet. Nach einiger Zeit prüfte man die Konsistenz des Rahms mit einem Löffel. Dazu gab man ihn in eine Schale – und fügte etwas Zucker hinzu, was den Testvorgang sprichwörtlich versüßt hatte. Das war die Luggmilch oder auch Luppmilch. Über eine solche Süßigkeit freuten sich nicht nur Kinder. Wenn ein Pfarrer beim Almauftrieb die Almsegnung vorgenommen hatte, bedankte man sich bei ihm unter anderem mit Luggmilch. Ob das „Lugg“ auf das Luck des Butterkübels anspielt, an dem der Löffel hing, oder ob mit „Lupp“ ein Gerinnungsmittel gemeint ist oder es noch andere Erklärungen gibt, darüber scheiden sich die Geister. Fest steht: Mit der Luggmilch beginnen erst die Vinschger Köstlichkeiten.

 

Luttwärga

Die Lichtenberger zwischen „Gumps“ und „Seïles“ wurden in dieser Sprachkolumne bisher sträflichst und zu Unrecht vernachlässigt. Das soll sich nun ändern. Zuerst aber eine kleine sprachliche Rundfahrt. Zu einem dickflüssigen Holundersirup, einer so genannten Holundersulze, sagt man im Vinschgau Luttwärga oder Lattwärga. Sprachlich lässt sich ohne großen Aufwand eine Verbindung zum hochdeutschen Latwerge feststellen, das jedoch in unseren Breiten weniger gebräuchlich ist und zudem noch etwas im Detail Anderes bezeichnet. Mit Latwerge ist nicht unbedingt ein dicker Sirup aus schwarzen Holunderbeeren gemeint, sondern vielmehr ein stark eingekochtes Mus aus Zwetschken, Pflaumen, manchmal auch Wacholderbeeren oder Hagebutten. Wir finden den Begriff selbstverständlich im Mittelhochdeutschen, der sich wiederum aus dem lateinischen „electuarium“ entwickelt hat. Darunter verstand man einen zähen Brei aus pulverförmigen Arzneien. Das lateinische Wort lässt sich übrigens noch mit einem altgriechischen verbinden: „ekleichein“ bedeutet „auflecken“ oder „auslecken“. Klingt alles nicht unbedingt appetitlich, wird denn auch die Vinschger Luttwärga oft aus medizinischen Gründen zu sich genommen. Ganz so unangenehm muss sie aber doch nicht sein, zumindest nicht in Lichtenberg, denn die dortigen Einwohner – so die Volksmeinung – haben Luttwärga besonders gerne eingekocht und auf ihre Brote geschmiert. So gerne, dass die Bewohner den ÜbernamenLiachtawärger Luttwärgasiader“ bekommen haben.

 

M Maarn

Was haben englische Spukschlösser mit dem Vinschgau zu tun? Zunächst einmal gar nichts. Aber ein Schloss, das etwas gelten will, hält sich mindestens einen Geist. So sollen im Hampton Court Palace in der Nähe von London sowohl die dritte als auch die fünfte Ehefrau von König Heinrich VIII. umherspuken. Er selbst wird sich wohl aus dem Staub gemacht haben, um das Gezanke nicht miterleben zu müssen. Im Althochdeutschen gibt es das Verb „maren“ (verkünden, verbreiten), das wir heute noch im Wort Mär für „Erzählung“ oder „Nachricht“ erkennen. Im Dialekt verwendet man „maarn“, wenn sich Tote bei den Hinterbliebenen melden oder sich mit Geräuschen oder geisterhaften Erscheinungen bemerkbar machen. Spuk hin oder her. Es gibt dafür auch natürliche Erklärungen, zum Beispiel dass Zugluft sehr tiefe Schwingungen hervorruft, die Angstzustände auslösen und Stimmen in den Kopf zaubern, die nicht existieren. Wenn aber zügige Luft in den langen Gängen englischer Schlösser Halluzinationen hervorrufen kann, dann lässt das den Oberwind in Bezug auf das Maarn in einem ganz neuen Licht erscheinen.

 

Muiapfeif

Der Mai ist jung, gerade einmal ein paar Tage alt, deshalb ist es vielleicht nicht falsch über einen alten Brauch zu sprechen, der auch im Vinschgau lange gepflegt wurde: das Schnitzen einer Muiapfeif (auch: Moiapfeif). Ein Tourismusverein beklagt sich auf seiner Internetseite, dass das Maipfeifchenschnitzen so gut wie ausgestorben sei, weil sich die Jungen lieber an Computerspielen halten (oder nachschauen, ob es nun tatsächlich zwei Seiten gibt, die sich mit dem Schnårfer beschäftigen) und die Alten vielfach nicht mehr wissen, wie man eine solche Pfeife herstellt. Ganz so schlimm wird es nicht sein. Zur Auffrischung der Kenntnisse hier eine Anleitung: Man braucht einen frischen Weidentrieb, gut 10 cm lang und daumendick. Im oberen Viertel wird eine Kerbe in die Rinde geschnitten. Am unteren Drittel wird die Rinde einmal rings herum bis auf das Holz eingeschnitten. Mit dem Messergriff wird nun der obere Teil der Rinde um den Ast weichgeklopft, um sie vorsichtig abzudrehen. Wo die Kerbe beginnt, wird das Mundstück abgesägt. Von dem abgeschnittenen Stück wird ein kleiner Span heruntergeschnitten, um dann das Mundstück wieder in die Rindenhülse zu schieben. Durch Verschieben des unteren Pfeifenteils beim Hineinblasen können die verschiedenen Töne erzeugt werden. Geübte Musiker geben auf einer Muiapfeif allerhand Melodien zum Besten. So könnte man vielleicht die in letzter Zeit ins Gerede gekommene Hymne einfach instrumental spielen – und das Problem mit dem Text hätte sich erledigt.

 

Mutt

Grenzen gibt es viele. Die Grenzen zu den Grundstücken des Nachbarn. Die Grenzen des ethisch Tolerierbaren. Die Grenzen des guten Geschmacks. Auf der anderen Seite leben wir in einer Zeit, in der Grenzen zunehmend an Bedeutung verlieren. Wer kann sich denn nicht mehr erinnern, wie es war, als man am Reschenpass noch kontrolliert wurde oder man auf der anderen Seite mit Lire-Scheinen, die ohnehin nicht viel Wert waren, noch weniger anfangen konnte? Doch wir wollen uns heute einer sprachlichen Grenze nähern und uns mit alten Getreidemaßen beschäftigen. Je stärker sich feudale Strukturen, aber auch der Handel entwickelten, desto wichtiger wurden die Maße. Obwohl Naturalienabgaben hier seit römischen Zeiten bekannt sind, stimmen die Getreidemaße nicht mit den römischen überein. Ein Schtaar zum Beispiel entsprach im 16. Jahrhundert einem Volumen von 31,1 l, die Mutt (von lat. modius) hingegen war 1½ Schtaar gleichgestellt. Doch so einfach ist die Angelegenheit leider nicht. Beiden Einheiten wurden zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Ortschaften unterschiedliche Mengen zugeordnet. Oft geschah dies sogar innerhalb eines Ortes, wenn es sich um verschiedene Getreidesorten handelte – kein Wunder, da es keine zentrale Normierungsinstitution gab. Immerhin kann man aber genau angeben, in welchen Gebieten des Tales man die Einheiten verwendete. Die Grenze verlief ziemlich genau in Prad. Von dort aufwärts benutzte man die Mutt, von Prad abwärts das Schtaar. Klare Grenze. Dass manch einer heute immer noch Grenzen verschieben will, ist allerdings eine andere interessante Geschichte.

 

P Paalapiiragräascht

Was haben die Türkische, die Augsburger und die Herrenbirne, die Bon Chrétien d’Été und die Strassburgerin, die Sommerapotheker-, Plutzer- und Zuckerbirne, die Woschitzke, Gracioli und Pira Crustumia, die Püli-, Bunkerte, Pilli Palli, Katelen-, Malvasier- und Pfundbirne gemeinsam? Aus allen diesen Birnen kann man typische Vinschger Köstlichkeiten zaubern. Denn jede einzelne der erwähnten Bezeichnungen steht für die Paalapiir. Damit ist unser heutiger Ausdruck weit mehr als ein bloßer Begriff, er steht für ein Stück lokale Identität. Mitte des 18. Jahrhunderts war die Paalapiir auf der Churburg bekannt, allerdings nicht unter ihrem heutigen Namen, und noch hundert Jahre früher tauchte sie schon in Florenz auf. Ursprünglich stammte sie aus dem vorderen Orient und kam wahrscheinlich über den Balkan in unsere Breiten. Ein langer Weg in den Vinschgau. Ein Graciolifestival, eine Woschitzkeparty oder ein Bunkertes Bankett in Glurns? Wohl kaum denkbar. Namen sind mehr als austauschbare Buchstabenfolgen. Und ein Paalapiiragräascht ist mehr als ein x-beliebiges Gericht mit Birnen. Mahlzeit!

 

Pånkert

Wenn man in einem Taufbuch auf den Hinweis „filius illegitimus“ (oder im Falle eines weiblichen Täuflings „filia illegitima“) stößt, so hat der Geistliche dadurch festgehalten, dass hier ein uneheliches Kind getauft wurde. Je nach Gegend lag der Anteil an illegitimem Nachwuchs vor Beginn des 20. Jahrhunderts etwa zwischen 2% und 20% – im Heiligen Land Tirol selbstverständlich näher an der unteren Grenze. Über den Charakter oder das Verhalten des Kindes ist damit natürlich noch nichts gesagt, aber das hat Menschen selten davon abgehalten, die Bedeutung von Wörtern zu vermengen. Besonders im oberen Vinschgau wird noch heute, wenn auch selten, der Ausdruck „Pånkert“ verwendet. „Pånkert“ geht auf das mittelhochdeutsche „banc-hart“ zurück und bezeichnet ein Kind, das unehelich auf der harten Schlafbank einer Magd gezeugt wurde und nicht im Ehebett des Hausherrn. Höchstwahrscheinlich lässt sich der Ausdruck sogar zur indogermanischen Urform „be-kerdha“ mit der Bedeutung „außerhalb der Familie“ in Beziehung setzen. Damit haben wir gleich mehrere Gründe für eine Bedeutungsveränderung. Wer außerehelich und auf einer harten Bank statt in einem weichen Bett gezeugt wurde, kann kein tadelloser oder angenehmer Mensch sein. Aus diesem Grund wird im Vinschgau „Pånkert“ auch weniger dafür verwendet, einen illegitimen Abkömmling zu benennen, sondern als Scheltwort für ein unfolgsames, ungestümes oder sogar grobes Kind: „A wildar Pånkert, dr Hias!“

 

Pazlung

Wissen Sie, womit sich Chasmologen beschäftigen? Man glaubt es kaum – mit dem Gähnen. Scheint aber weder eine besonders aufregende noch weit verbreitete Wissenschaft zu sein. Ebenso wenig dürfte die Pemmatologie bekannt sein. Ihr Beschäftigungsfeld ist zwar genauso alltäglich wie das Gähnen, aber wesentlich attraktiver und schmackhafter. Wer den Titel dieses Beitrags gelesen hat, kann sich schon denken, was Pemmatologen sind: Brotforscher. Ein Beispiel. Die Pazlung (auch: Parzlung, Pårzlung) ist im ganzen Vinschgau bekannt. Es sind schmale, längliche oder auch hufeisenförmige Brote. Der Name geht auf das rätoromanische "pez lonk" zurück, was "langes Stück" bedeutet. Die Interessen des Brotforschers gehen natürlich weit darüber hinaus, der Vinschgau ist diesbezüglich sehr ergiebig: Fourschloogpaarlan, Paalapiiraprout, Schmålzschnuutn und Vieles mehr. Noch ein Gedanke zum Schluss. In einer Millionenstadt wie Wien werden jedes Jahr etwa 2 Millionen kg Brot vernichtet. Vielleicht sollten zukünftige Forschungsmilliarden der Morologie zugutekommen – der Lehre von der Dummheit.

 

Pfinzta

Manchmal ist die sprachliche Herkunft dialektaler Ausdrücke nur mehr für den Experten erkennbar. Wer würde schon vermuten, dass aus dem Griechischen „pempte hemera“ das allseits bekannte, aber leider immer weniger gebräuchliche „Pfinzta“ wurde? (Oder aus dem mittelhochdeutschen „erge-tac“ unser „Eïrta“?) Der erwähnte griechische Ausdruck bedeutet nichts anderes als „fünfter Tag“. Wer aber nachzählt, wird feststellen, dass der Donnerstag nicht der fünfte, sondern der vierte Tag der Woche ist. „Pfinzta“ geht noch auf die Zeit zurück, in der – gemäß der jüdisch-christlichen Tradition – die Woche mit dem Sonntag begann. Dass der Montag den Wochenbeginn markiert und so den Donnerstag zum vierten Tag der Woche macht, wurde erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts festgelegt und ist mittlerweile sogar eine internationale Norm (ISO 8601). Dies erklärt noch nicht wie das „pempte“ zu „Pfinzta“ wurde. Es ist dieselbe sprachliche Entwicklung, die wir auch beim Wort „Pfingsten“ beobachten können. Letzteres geht auf das griechische „pentekoste“ bzw. gotische „paintekuste“ zurück, das im Rahmen der arianischen Mission zu den Germanen und damit in unseren Kulturraum gelangte. Durch die zweite Lautverschiebung wurde dann aus dem „p“ ein „pf“. Das ist aber schon lange her. Oder wie man im Vinschgau sagt: „Deïs isch a poor Pfinzta he ...“

 

Piaschtturt

Alles kommt wieder. Die erste Milch nach dem Kalben wird Piascht genannt; in der Hochsprache gibt es dafür den Begriff „Biestmilch“. Der Ausdruck, der nichts mit dem abwertenden Wort „Biest“ für „Tier“ zu tun hat, besitzt eine uralte Geschichte. Er lässt sich über das mittelhochdeutsche „biest“ und das althochdeutsche „biost“ wahrscheinlich sogar auf den indogermanischen Wortstamm „bhus-ko“, mit dem unser Begriff „Busen“ verwandt ist, zurückführen. Wo immer der Ausdruck auch her kommt, früher hat man aus dieser Milch vor allem in ländlich-bäuerlichen Haushalten einen besonderen Kuchen gebacken – den Piaschtturt. Man versprach sich davon gesundheitliche Vorteile, da diese Milch das neugeborene Tier in den ersten Tagen optimal versorgt. Woran das liegt, weiß man mittlerweile natürlich genau, denn die Biestmilch oder das Kolostrum, wie man sie auch nennt, ist reich an Eiweiß, Enzymen, Vitaminen, Mineralien, Aminosäuren und Antikörpern. Dass man heute wieder verstärkt darauf zurückgreift, ist nur eine Folge einer Rückbesinnung, die man auf verschiedenen Ebenen beobachten kann. So ist diese Milch für Spitzensportler wie zum Beispiel Triathleten interessant. Wenn man das Internet durchforstet, wird man schnell fündig. Sie wird in oft sündteuren kleinen Fläschchen oder auch in Form von Kapseln und Kautabletten angeboten. Auch die Suche nach einem Rezept für einen Piaschtturt endet in einer umfangreichen Sammlung verschiedenster Varianten. Wie schon gesagt: Alles kommt wieder. Auch dieser Satz.

 

Pitterle

Wodurch wird die anstrengende Feldarbeit während eines heißen Sommers erträglicher? Selbstverständlich dadurch, dass man das richtige Getränk stets bei der Hand hat. Das kleine Holzfass, in dem Wasser, lieber aber natürlich Wein, mit auf das Feld genommen werden konnte, wird „Pitterle“ genannt. Ein altes bayerisches Nachschlagewerk weiß zu berichten, dass sich darin „3 bis 6 Maß Flüssigkeiten zum Handgebrauch“ lagern lassen, also gerade richtig für den Tagesbedarf eines Mähers. Der Ausdruck geht auf das mittelhochdeutsche „büterich“ zurück, der damals für ganz unterschiedliche Arten von Flüssigkeitsbehältern verwendet wurde, so zum Beispiel für einen Krug, einen Weinschlauch und eben auch für ein Fässchen. Im deutschen Sprachraum gibt es übrigens den Familiennamen Pitterich; der ursprüngliche Träger dieses Namens muss wohl einen dicken Bauch gehabt haben, der seiner Form nach an eine rundliche Flasche oder sogar ein Fass erinnerte. Doch Pitterle ist nicht das einzige Vinschger Wort, das sich mit Bauchigem in Verbindung bringen lässt. Ein weiterer interessanter Ausdruck ist „Gutterle“, eine größere Flasche. Das Wort lässt sich sprachgeschichtlich – wieder einmal – auf das Lateinische zurückführen. Dort bezeichnet „guttus“ einen enghalsigen Krug und „gutta“ einen Tropfen. Kein Wunder. Schon die alten Römer wussten einen guten Tropfen zu schätzen.

 

Pfott Zoch

 

Pluatschtellar

Was würde thematisch besser zur 13. Folge dieser Serie passen, als ein wenig über den in der Bevölkerung verwurzelten Aberglauben zu sprechen? (Nur über die Schweinegrippe zu schreiben, wäre momentan aktueller.) Seit jeher hat man einzelnen Menschen besondere, ja sogar übersinnliche Fähigkeiten zugesprochen. Eine solche Gabe konnte beispielsweise darin bestehen, Unangenehmes, Gefährliches oder Zerstörerisches auf- oder von Menschen abzuhalten. Hatte sich jemand durch Unvorsichtigkeit oder einen Unfall verletzt und blutete stark aus der Nase oder einer Wunde, so wurde er im Ernstfall zu einem so genannten Pluatschtellar gebracht. Dieser gab ein paar Sprüche und Gebete aus mehr oder weniger obskuren Quellen zum Besten und – Aberglaube sei Dank! – das Blut hörte sofort auf zu rinnen. Waren hingegen Haus und Hof durch einen Brand in Gefahr, war der Fuierschtellar gefragt. Sobald er vor Ort auftauchte, geheimnisvoll murmelte und deutete, begnügte sich das Feuer mit dem bisher Verbrannten und verschonte den Rest. Eine solche übernatürliche Anlage konnte von der damit gesegneten Person übrigens, auch das ist im Volksglauben verankert, an nahe Verwandte weitergegeben werden. Praktisch wären solche Kräfte auch im 21. Jahrhundert. Ein paar flotte Zaubersprüche vom Fåckngrippeschtellar und das Problem ist gelöst.

 

R Råat

Am 24. August wird das Fest del Hl. Bartholomäus begangen. An diesem Tag sollte nach altem Brauch nicht nur das Gruamat unter Dach sein (und für den Bauern der Herbst beginnen), sondern es war auch Zeit für das Partlmeewåsser – eine besondere Råat. Die Råat bezeichnet das Wasserrecht, aber auch den zeitlich und mengenmäßig festgelegten Wasseranteil. Diese Wasserrechte, typisch für den trockenen Vinschgau, sind schon früh schriftlich fixiert worden, einige Urkunden gehen bis auf das 13. Jahrhundert zurück. So wird der Ausdruck „Råat“ vermutlich aus dem romanischen roda, rota entstanden sein und auf die Rotation der Wassernutzung anspielen. Ein wichtiger und geachteter Mann war der Waaler. Er beobachtete den Wasserfluss, wachte über die Wasserzuteilung am Tag sowie in der Nacht, führte Instandsetzungsarbeiten durch, verwaltete die Bücher und vertrat die Gemeinschaft bei Rechtsstreitigkeiten. Um Auseinandersetzungen bei der Zuteilung der Råaden zu verhindern, wurde die Abfolge der Wasserableitungen oft durch Auslosung geregelt. Dabei wurden aus einem Sack Holzstäbchen mit den Erkennungsmarken der Höfe gezogen und so die Turnusabfolge festgelegt. Diese Råaden waren meist eng mit dem Hof und nicht mit den darauf lebenden Personen verbunden. Wie genau aber die Bewässerungszeiten auf- und eingeteilt wurden, besonders dann, wenn nur wenig Wasser vorhanden war, kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht erörtert werden. Deïs dauert a Räadl.

 

Radonnt

In Zeiten zunehmender Globalisierung kann das Lokale schon einmal in Bedrängnis geraten. Das Ausbügeln von Unterschieden, auch auf sprachlicher Ebene, hat vielfach wirtschaftliche Gründe. Wer erinnert sich noch daran, dass der Schokoladeriegel Twix bei uns Raider hieß? Damit man ihn überall auf der Welt als solchen erkennt (und kauft), hat man damals eine groß angelegte Umbenennungskampagne gestartet. Ob hier der Verlust einer Produktbezeichnung zu bedauern ist, sei dahingestellt – ganz anders wäre das, wenn es sich um Dialektausdrücke handeln würde. Viele Mundartwörter kommen oft in der einen oder anderen Variante in sehr vielen Tälern, Orten oder Gebieten vor. Auf der anderen Seite gibt es Ausdrücke, die besonders typisch für eine Gegend sind. Ein schönes Beispiel ist die Obervinschger Radonnt (mit bündnerromanischen Wurzeln) oder auch Ommat. Es handelt sich dabei um die mit Gras bewachsene Grenze eines Ackers. Der alternative Ausdruck „Ounawont“ ist in veränderter Aussprache weit über Tirol und darüber hinaus verbreitet. Möge uns demnach die Radonnt noch lange erhalten bleiben.

 

Raiter

Es gibt Wörter, die weder außergewöhnlich klingen, noch auf den ersten Blick den Eindruck vermitteln, eine besondere Bedeutung zu besitzen. „Raiter“ ist so ein Fall. Wäre mit dem Wort lediglich ein Mensch hoch zu Ross gemeint, würde man es vielleicht eher in einem Rechtschreibwörterbuch nachschlagen und wohl kaum im Zusammenhang mit dialektalen Ausdrücken erwähnen. Doch hinter „Raiter“ steckt wesentlich mehr. Zum Beispiel die Pallnraiter, das große, runde Sieb zum Trennen von Heu und Heublumen. Sieht man es jedoch auf ein Stadeltor oder auf eine Straße gemalt, so wird man Zeuge eines alten Brauchs.  Belegt ist dieser zum Beispiel für Schlinig, aber auch für andere Vinschger Orte und sogar für Pfunds im Oberen Gericht. Es war am Vorabend einer Hochzeit üblich, eine stilisierte Raiter an das Tor des Stadels oder auf die Straße vor dem Heimathaus der Braut oder des Bräutigams zu malen. Oft ist dies mit Teerfarbe geschehen und ebenso oft wurde zusätzlich mit Pfeilen oder Sägemehl die Richtung der Verflossenen angegeben. Wahrscheinlich wollte man damit ein symbolisches Aussieben im Zuge der Partnerfindung andeuten. Viel Bedeutung für ein einfaches Wort. Und wenn einem nichts mehr einfällt, wie mir jetzt gerade, dann ist das nicht viel mehr als „a Furz in dr Raiter“. Und ich hoffe, dass deshalb niemand „räart wi'a rinnete Raiter“.

 

Reïdamåcher

Ein Reïdamåcher ist ein Handwerker, der Räder, aber auch Holzstiele, Griffe und Schlitten herstellt. Schnitt. Martin Luthers Veröffentlichung seiner berühmten Thesen im Jahre 1517 gab den Weg frei für reformwillige religiöse Gruppen. Unter ihren Anführern befinden sich bekannte Namen wie Münzer, Zwingli und Calvin, aber auch weniger bekannte wie Grebel und Blaurock. Als eine der Geburtsstunden der (Wieder-)Täuferbewegung gilt die Taufe Jörg Blaurocks im Jänner 1525 in der Nähe von Zürich. Die Täufer, die u. a. die Kindertaufe unterließen, sich für eine strikte Trennung von Kirche und Staat aussprachen, die Obrigkeit ablehnten und die Gütergemeinschaft pflegten, waren von Beginn an einer massiven Verfolgung ausgesetzt. Aus diesem Grund zerstreuten sich die Gläubigen schon bald in alle Richtungen, so auch nach Tirol, wo mit Jakob Hutter ein besonders überzeugter Verfechter wirkte. Auch er konnte seinen Glauben nicht in der Heimat leben und gründete die „Hutterischen Brüder“ in Mähren. Bereits 1527 beklagte man sich beim Pfleger zu Glurns und Mals, Jakob Trapp, über die wiedertäuferischen Aktivitäten von Jörg Blaurock. Immerhin gilt der Vinschgau durch die Nähe zu Graubünden als eines der Tore, durch das die Täuferbewegung nach Tirol kam. In Graun, Taufers, Glurns, Schlanders, Kortsch und Kastelbell beispielsweise gab es Gemeinden, doch die Verfolgung dieser religiös-sozialen Gruppierungen war hart. Wer nicht widerrief, wurde geköpft, ertränkt oder verbrannt. Die meisten Gläubigen verschwanden in der Anonymität der Geschichte, aber immerhin sind im Vinschgau (laut Aufzeichnungen) etwa 100 Personen bekannt, darunter Paul Schweiggl aus Mals, Jakob Regätsch aus Latsch und der „Reïdamåcher“ von Schlanders.

 

Russlånt

Als der vielseitige und stets originelle Tiroler Schriftsteller Felix Mitterer 1990 seine dreiteilige „Piefke-Saga“ ins Fernsehen brachte, sorgte er nicht nur in Deutschland und unter Touristen für einen Aufschrei. Er hatte wohl den Nerv der Zeit und den wunden Punkt der Tiroler selbst getroffen. Auch wenn sich die Serie auf Nordtirol bezog, konnten wir uns im Süden nicht verstecken. Nun liest und hört man schon seit einigen Jahren, dass Mitterer an einer Fortsetzung schreibt, doch gilt sein Interesse dieses Mal nicht bundesdeutschen Besserwissern, sondern finanzstarken Russen. Wann die von vielen heiß ersehnte "Russen-Saga" endlich ausgestrahlt wird, weiß man noch nicht. Doch Russlånt ist viel näher als man glaubt. Ein historischer Ortsteil am Westeingang von Mals mit zwei romanischen Kirchen trägt ebenfalls diesen Namen. Ob das kalt-windige Klima oder einquartierte russische Kriegsgefangene Grund für die Bezeichnung sind, sei dahingestellt. Eine Erkenntnis scheint jedoch sicher zu sein. Denn wie heißt es mit zwinkerndem Auge so schön: „Lenin, Stalin, Polin – ållz Russn!“

 

S Säalamårkt

Märkte gibt es in unserem Land viele: den Steegamårscht in Stegen zum Beispiel – übrigens der größte Markt Tirols –, den Kåthreinemårscht in Mühlen, den Josefimårkt in Salurn, den Markusmårkt in Auer, den Martinimårkt in Girlan, den Ultner Mårkt (selbstverständlich) im Ultental, im Vinschgau schließlich den Michäalimårkt im Martelltal, den Låntsproochmårkt in Goldrain, den Gållimårkt in Mals, ja, und zu Allerseelen natürlich den Säalamårkt in Glurns. Begonnen hatte alles im 13. Jahrhundert, als die Grafen von Tirol dem Bischof in Chur schaden wollten, indem sie dem Markt in Müstair Konkurrenz machten. Graf Meinhard II. führte damals den Bartholomäus-Jahrmarkt ein; Glurns war schon zu Römerzeiten ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und damit ein Ort regen Handelns. Doch der ursprüngliche Markt verlor im Laufe der Jahrhunderte durch Kriege und soziale Veränderungen zunehmend an Bedeutung. Das änderte sich allerdings im 19. Jahrhundert, als Kaiser Ferdinand I. von Österreich einen weiteren Markt einführte, nachdem die Glurnser bei der Innsbrucker Regierung eine Verlegung der anderen Märkte erbaten. Besonders in den letzten Jahrzehnten hat sich der Säalamårkt als Institution etabliert und wurde so zum größten und beliebtesten Jahrmarkt im Vinschgau. Kulinarische Leckerbissen dürfen da selbstredend nicht fehlen, Schweinernes oder Wurst mit Kraut, saure Suppe, Rindsgulasch mit Knödel, Wildgerichte, aber auch Kastanien und – keinesfalls zu vergessen – die allseits beliebte Manderlatta.

 

Särber

Der Frühling naht langsam, aber stetig. Die Temperaturen steigen, die Natur blüht auf und viele Menschen ebenfalls. Das Leben ist zurück. So könnte man meinen. Sterbestatistiken aus vergangenen Jahrhunderten zeigen aber, dass gerade im März und April – verglichen mit dem restlichen Jahr – besonders viele Menschen sterben. Eher würde man dies für die kalten Wintermonate vermuten. Eine mögliche Erklärung dafür ist die Umstellung des Hormonhaushalts, die den Körper belastet (und auch für die Frühjahrsmüdigkeit verantwortlich ist). Als eine Todesursache, die früher sehr häufig zu finden war, gilt die Lungenschwindsucht. Eine von vielen Bezeichnungen dafür ist „Serbe“. Im Vinschgau kennt man den Ausdruck „Särber“ für einen kränklichen Menschen, für jemanden, der zwischen Tod und Leben schwebt. Das Wörterbuch der Gebrüder Grimm gibt uns Auskunft über die Herkunft des Begriffes: „serben“ steht für „erschlaffen, ermatten“. Dass die Variante „serbeln“ heute noch in der Schweiz verwendet wird, zeigt einmal mehr die sprachliche Verbundenheit zwischen der Eidgenossenschaft und dem Vinschgau.

 

Schaibaschloogsunnta

Der Aschermittwoch beschließt die laute Fasnacht und eröffnet die besinnliche Fastenzeit. In Schnals zum Beispiel läuten die Kirchenglocken am Fasnachtsdienstag um Mitternacht die Fasnacht aus. Der darauf folgende Sonntag nimmt eine besondere Stellung im kulturellen Leben ein. Je nach Gegend gibt es dafür unterschiedliche Bezeichnungen: Houlerpfånnsunntig im Passeiertal, Kaassunnti im Burggrafenamt und im Vinschgau, vor allem im oberen Vinschgau, ist es der Schaibaschloogsunnta. In den Holepfannfeuern, den Hexenfunken und eben auch im Scheibenschlagen sehen wir die kultischen Schlussfeiern der einstigen Fasnacht, die sich bis in die heutige Zeit retten konnten. Beda Weber beschreibt dies wunderbar: „Das Thal gewährt einen zauberischen Anblick, und die einbrechende Nacht legt sich mit unbeschreiblichem Reitz auf das Flammengewühl. Zuletzt nehmen die Jünglinge flammende Brände, laufen auf einander los, selbst Gluth umströmt, der Wind facht das Feuer erst recht an. Wollte man die Raserei wildester Leidenschaft darstellen, so könnte man kein trefflicheres Bild dafür ausfindig machen.“ Ursprung und Grundzüge sind all diesen Feuern gemein, im Detail findet man doch von Ort zu Ort Variationen, beispielsweise im Aussehen der Larmschtång, im genauen Ablauf oder in den dazu geschrienen Scheibensprüchen: „Hii raim unt hee raim, fir weïm soll eppar dia Schaip sain. Dia Schaip isch fir dr Mena und oi drmit.“

 

Schiinagglan

Wir haben bereits im Zusammenhang mit dem Ausdruck „Tercharar“ von den Juden und der jiddischen Sprache gehört. Das Jiddische ist – zur Erinnerung – ein mit hebräischen und slawischen Sprachelementen vermischter deutscher Dialekt, der zunächst zu drei Vierteln aus mittelalterlichem Deutsch und einem Viertel hebräischen Ausdrücken bestand; durch den Kontakt mit dem slawischen Sprachraum kamen weitere Ausdrücke hinzu. Die etwa ab dem 17. Jahrhundert in Richtung Westen zurückwandernden Juden brachten dieses Jiddisch mit. Verwandt mit dem Jiddischen ist auch die Gaunersprache, das so genannte Rotwelsch, die Geheimsprache der Vagabunden, des fahrenden Volkes und Vertretern unehrlicher Berufe. Der Wortschatz setzt sich meist aus deutschen Mundartwörtern und verhüllenden Ausdrücken zusammen und hat einen starken jiddischen Einschlag. Er entstand durch den Kontakt der Diebesgauner mit jüdischen Händlern – zwei Außenseitergruppen. Im gemeinsamen Gespräch konnte der Gauner eine Menge Ausdrücke aus dem Judendeutsch lernen und in seinen Geheimjargon einbauen. So schafften es zahlreiche Begriffe auch nach Tirol und in den Vinschgau. Wenn wir Wörter wie „muffn“ (stinken), „piiber“ (kalt) oder eben „schiinagglan“ (hart arbeiten) verwenden, benutzen wir diese alte Geheimsprache. Letzteres geht zurück auf das jiddische „Schinagole“, die Schubkarre, und wer „schiinaggelte“ leistete ursprünglich eine Zwangsarbeit für die Obrigkeit. Heute ist es vielleicht nicht mehr eine feudale Obrigkeit, die uns hart arbeiten lässt, „geschiinaggelt“ wird trotzdem.

 

schimpflan

Es kommt vor, dass etwas anders aussieht, als es tatsächlich ist – und dies gilt nicht nur für Lasagne, die Pferdefleisch enthält. Auch im sprachlichen Bereich gibt es (auf den ersten Blick) solche Fälle. Ein Beispiel ist das Vinschger Wort „schimpflan“. Würde man nicht wissen, dass damit „spielen“ gemeint ist, eine für Kinder sehr positive Tätigkeit, man würde eher in Richtung „tadeln“ oder „maßregeln“ tippen. In der Tat hat „schimph“ im Mittelhochdeutschen die Bedeutung „Spiel“ und „Scherz“. So heißt es „ein vrouwe sol niht vrevelîch schimphen“, also „eine Frau soll nicht anzüglich scherzen“. Woher aber kommt die negative Bedeutung? Das mhd. „schimph“ wurde nicht nur für Kurzweil allgemein verwendet, sondern auch für das ritterliche Kampfspiel. Bei dieser Art von Zeitvertreib wird aus Spaß schnell Ernst. Siegt hierbei ein Teilnehmer über den anderen, so kann daraus leicht Spott oder Verhöhnung werden. Und dann wird geschimpft! Schöner ist es, wenn Kinder heute, so es endlich wärmer wird, vor dem Haus im Freien spielen können und es heißt „Dr Hias isch affn Weïg oi schimpflan.“

 

Schlångate Assn

Südtirols Vorzeigeliterat Norbert C. Kaser schreibt in seinem Stadtstich zu Glurns, dass „maenner kartenspielen & geheimzeichen auf ein S malen“. Mit dem in den Text eingefügten S-Zeichen spielt er auf ein im Vinschgau gern gespieltes Kartenspiel an: „Schlångate Assn“. Die Spielkarten – das Gebetbuch des Teufels, wie man sie früher nannte – sind im 14. Jahrhundert entstanden, wo genau, darüber ist man sich noch nicht einig. Immerhin haben sie sich (weil immer wieder verboten) rasend schnell verbreitet und sind heute genau so beliebt wie vor Jahrhunderten. Gespielt wird im Vinschgau meist mit den Salzburger Karten, die in Salzburg selbst weder dem Namen noch der Gestaltung nach bekannt sind. Manchmal lässt jedoch die Bandbreite der Zeitvertreibe zu wünschen übrig, da viele Kartenspiele vom Watten „geschlagen“ werden. Der Name scheint hier Programm zu sein, denn „Watten“ kommt vom italienischen „battere“ für „schlagen“. Nach wie vor beliebt sind im Vinschgau aber „Schiabate Ass“ und „Såckn“. Am schönsten ist es immer, wenn es heißt: „Måchmr an Schiaber?“ oder „Täamer Schuubern?“

 

Schlänggltoog

Manchmal hat man das Gefühl, dass sich heute Gedenk- und Aktionstage, unabhängig davon, ob sie nationaler oder internationaler Natur sind, so häufen, dass überhaupt keine Zeit bleibt, um genügend Luft dazwischen zu bekommen: Holocaust-Gedenktag, Europäischer Datenschutztag, Tag zum Schutz des Lebens oder Welttag der Feuchtgebiete, um nur einige der letzten Zeit zu nennen. Doch früher war es auch nicht viel anders. Wenn wir uns in eine Zeit zurückversetzen, in der das bäuerliche und das religiöse Leben noch eine dominante(re) Rolle in unserem Land gespielt haben, so fällt es nicht schwer, einige Feiertage hintereinander zu reihen. Die vergangene Woche zum Beispiel konnte mit gleich drei erwähnenswerten Tagen aufwarten: Am 2. Februar war Mariä Lichtmess, am 3. wird der Hl. Blasius, Patron gegen Halsweh, gefeiert und am 5. Februar schließlich der Festtag der Hl. Agatha begangen. Lichtmess war gleichzeitig der Schlänggltoog – der Beginn des bäuerlichen Arbeitsjahres, der Tag, an dem Knechte und Mägde schlänggln, also ihre Stelle wechselten, sollte es einen Grund dafür geben. Hatten sie schon lange nicht mehr geschlängglt, war das natürlich für beide Seiten ein gutes Zeichen. Im Vinschgau war man mit der Frage, ob überhaupt geschlängglt wird, schon sehr früh dran. In Kastelbell wird sie im Dezember gestellt, im oberen Vinschgau sogar schon zwischen Gålli (16. Oktober) und Martini (11. November). Den Abschluss der Schlängglzeit bildet die erwähnte Hl. Agatha. Die größten Feierlichkeiten dazu fanden in Karthaus in Schnals statt. Ein Vorschlag am Ende: Bei so vielen Feiertagen fehlt nur noch ein Tag des Vintschger Sprachgutes.

 

Schnårfer

Haben Sie schon einmal versucht, einen x-beliebigen Begriff – zum Beispiel der erstbeste, der Ihnen einfällt, oder auch eine besondere Kombination – in die Suchmaschine Google einzugeben, um zu erfahren, was es im Internet dazu gibt? (Oder vielleicht sogar den eigenen Namen, um zu sehen, ob man „digital“ existiert?) Vor Jahren war es ein beliebter Zeitvertreib von Computernutzern, in einer Art Wettstreit untereinander Suchbegriffe ausfindig zu machen, die nur einen einzigen Treffer ergeben, da diese Aufgabe viel schwieriger ist, als sie für den Laien scheint. Selbst sinnlose Zeichenketten wie „asdfghkl“ ergeben immerhin 31.600 Treffer (Wer es nicht glaubt, möge es selbst nachprüfen.) Wenn Sie allerdings die beiden Begriffe „Schnårfer“ und „Rucksack“ eingeben, dann erhalten Sie genau ein einziges Ergebnis. Nicht mehr und nicht weniger. Eine reifliche Leistung. Mit der Variante „Schnarfer“, die man u. a. in Taufers, Kastelbell und Nauders verwendet, sind es immerhin grandiose sieben Einträge. Der Mundartforscher Josef Schatz kennzeichnet „Schnårfer“ als typisch für den Vinschgau, wenn er auch im einen oder anderen Ort außerhalb verstanden und gebraucht wird (z. B. in Ridnaun). Die Herkunft des Ausdrucks ist leicht erklärt. Das althochdeutsche Wort „snerfan“ kann mit „zusammenziehen“, „schnüren“ oder auch „runzelig machen“ übersetzt werden und gab so dem Vinschger Rucksack seinen Namen. Da dieser Beitrag auch auf der Internet-Seite des „Vinschger“ erscheint, wird es nicht lange dauern und die beiden obengenannten Ausdrücke ergeben zwei Treffer – eine kleine Form der dialektalen Aufklärungsarbeit.

 

Schpuuzmiil

1.200 Stunden hat der Marteller Leander Regensburger zusammen mit seinem Großvater Norbert Holzknecht an der Restaurierung einer alten Schpuuzmiil in Gand gearbeitet. Es handelt sich hierbei um eine Stockmühle, wie sie bereits vor Jahrtausenden erfunden worden ist. Das Wasserrad steht nicht wie bei den meisten Mühlen senkrecht, sondern befindet sich in einer waagrechten Position. So ist eine Mühle diesen Typs nicht von der Wassermenge auf den Schaufeln abhängig, sondern wird allein durch den Druck, das das Wasser ausübt, angetrieben. Die Schpuuzmiil in Gand wurde in einem steilen Gelände angelegt, um den natürlichen Wasserdruck auszunutzen und ist seit mindestens 1888 urkundlich belegt. Um eine solche Mühle allein könnte man eine kleine Dialektwörtersammlung zusammenstellen: Zunächst muss man das Miilwåsser über ein Miilråar inkäarn, beim eigentlichen Mahlvorgang gibt es dann die Gosse (den Aufschüttkasten; wahrscheinlich von mhd. goz, giezen), darunter befinden sich Laafer und Leeger (die Mühlsteine), im Paitlkåschtn wird das Mehl von der Grisch (die Kleie; vgl. ital. crusca) getrennt; im Grischrittler kann die Kleie weiter bearbeitet werden, um so die feinere von der grobkörnigeren zu trennen – um nur einige Wortbeispiele zu nennen. Das Mehl wird dann zum Brotbacken verwendet. Bleibt nur zu hoffen, dass das Brot rougla oder zuugwåach ist und nicht knotthert wird.

 

Schtaar Mutt

 

Schtåaßerloch

Die Zahl 40 spielt in der christlichen Religion eine bedeutende Rolle. So dauerte die Sintflut im Alten Testament insgesamt vierzig Tage, auch der Aufenthalt des Mose auf dem Berg Sinai, vierzig Jahre lang wanderten die Hebräer durch die Wüste, Jesus fastete vierzig Tage lang und die Zeit zwischen Ostern und Christi Himmelfahrt beträgt ebenfalls vierzig Tage. Allerdings umfasst noch eine weitere Zeitspanne vierzig Tage – wenn dies auch weniger bekannt ist: der Zeitraum zwischen Weihnachten und Mariä Lichtmess (oder auch Darstellung des Herrn), ein Fest, das am 2. Februar gefeiert wird. Der Volksmund spricht vom wachsenden Tag, der um Lichtmess schon so lang ist, dass für den Bauern das Arbeitsjahr beginnen konnte. So ist verständlich, dass Mariä Lichtmess einer der größten Lostage im Jahr war und sich dazu verschiedene Bräuche und Gewohnheiten entwickelten. Man begrüßte zum Beispiel die Sonne, indem man Milch oder Rahm in das Fenster stellte; in Naturns und Umgebung gab es das so genannte Schtåaßen, also das Ausbessern und Herrichten des schadhaft gewordenen Holzes im Weinberg. Es war Aufgabe der Frauen, die Reben festzubinden, wozu sie dünne, biegsame Weidenruten verwendeten. Den Zeitpunkt für den Beginn dieser Arbeiten legte die Sonne selbst fest. Wenn ihre Strahlen nach der Wintersonnenwende zum ersten Mal wieder das Schtåaßerloch trafen, endete der winterliche Müßiggang.

 

Schtaudnvintschger

Dass alte Rivalitäten zwischen den einzelnen Dörfern des Vinschgaus dazu geführt haben, auch in den Übernamen der Bewohner wertend aufzutreten, haben wir schon vor Monaten gehört – man denke nur an die Gluurnzer Schtattlscheißer (vgl. „Ausdrücke“ Nr. 28). Eine traditionelle und weithin bekannte Einteilung treibt hingegen einen Keil in den Vinschgau und macht aus den Talbewohnern entweder Edlvintschger oder Schtaudnvintschger. Doch wo genau dieser Keil nun anzusetzen ist, darüber ist man sich im Detail nicht immer einig und hängt auch ein wenig davon ab, wen man fragt und wo dieser selbst wohnt. Mathias Insam zum Beispiel schreibt in einem Beitrag, in dem er sich damit beschäftigt, dass für manchen die Schtaudnvintschger von der Töll bis auf die Laaser Höhen zu finden sind – womit er die Einwohner von Schlanders eindeutig zu den Vinschgern unter den Erlenbüschen und Weinstauden rechnet; ganz im Gegensatz zu den Gluurnzer Edlvintschgern auf den saftigen Weiden und Matten. Diese Zweiteilung ist zweifelsohne historisch bedingt und speist sich u. a. aus kulturellen Unterschieden. Die Edlvintschger bedienten sich länger des Rätoromanischen und bevorzugten im Vergleich zum unteren Vinschgau den rätoromanischen Steinbau als Haustyp. Sie zeichnen sich zudem durch einen etwas kleineren Menschenschlag aus, gelten aber als die edlen und damit die echten Vinschger – mit ihren guten und auch weniger guten Tugenden, zu denen Schlauheit, aber auch Hinterhältigkeit zählt. All das kann man natürlich von einem Schtaudnvintschger nicht verlangen.

 

schtuppen

Man hört die beiden Ausdrücke heute mittlerweile kaum mehr: „harwen“ und „stuppen“. Beide be­zie­hen sich auf Stoffe, die aus Flachs- oder Hanffasern hergestellt werden. Der große Unterschied liegt allerdings in der Qualität. Das „harwene Tuach“ war ein fein gewobenes Leinentuch; das Garn da­zu wurde nor­maler­weise nur von erfahrenen Frauen, die schon lange im Spinnhandwerk geübt wa­ren, ver­sponnen. Man hat es vor allem zur Hemdenherstellung verwendet. Das „Stuppene“ hin­gegen war von minderer Güte und bestand aus den kurzen, gröberen und verwirrten Faser­stücken. Werg, so der hochsprachliche Name, wird noch heute als Dicht- und Füllstoff genutzt. Interessant ist, dass sich der Aus­druck „stuppen“ sprach­geschichtlich bis ins Mittel- und Althochdeutsche zurück­ver­fol­gen lässt und sogar im Lateinischen und Altgriechischen zu finden ist. Schon im alten Griechenland be­zeich­nete „styppeion“ den groben Hanf und der Be­griff „styppax“, der Wergverkäufer, wurde auch als Spott­namen gebraucht. So ist verständlich, dass „harwen“ und „stuppen“ nicht nur textile Eigen­schaften bezeichnen, sondern im übertragenen Sinn auch für „gut“ und „schlecht“ oder zumindest für „das Bessere“ und „das Schlechtere“ verwendet wur­den. „Liaber a stuppas Håamat as a harwane Årbat“: Selbst der schönste Arbeitsplatz ersetzt nicht die Heimat.

 

Stecher

In dieser Folge behandeln wir nicht Vinschger Begriffe und Wendungen, sondern einen bekannten Familiennamen. Familiennamen lassen sich in der Regel auf Berufsbezeichnungen, Flurnamen, die Herkunftsorte der ersten Träger, auf Charaktereigenschaften, das Aussehen oder auf die Vornamen von Vater oder Mutter zurückführen. Der Vinschgau ist im letzten Fall recht ergiebig. Manchmal ist der Ursprung augenscheinlich, wie bei den Vornamen Bernhard und Daniel, die unverändert als Familiennamen übernommen wurden. Bei anderen hat sich die äußere Form im Laufe der Zeit mehr oder weniger gewandelt. Der Familienname Blaas geht auf den Namen Blasius zurück, Köllemann auf den heute kaum mehr vergebenen Namen Koloman, Fliri bezieht sich auf den in Matsch verehrten Hl. Florinus, Plagg auf den Namen Placidus und Tschenett auf Johannes. P. Thomas Wieser vom Kloster Marienberg hat 1917 vermutet, dass auch der Name Stecher aus einem Vornamen entstanden sei, in diesem Fall Eustachius. Damit dürfte er aber falsch liegen. Der Urahne aller Stecher war wahrscheinlich ein Fechter, Saustecher oder Kastrierer.

 

sui

Für die allermeisten von uns ist der Dialekt die eigentliche Muttersprache und für diese gelten einige Besonderheiten: Wir erlernen sie in den ersten Lebensjahren von der Mutter bzw. den Eltern ganz automatisch ohne formalen Unterricht und so prägt sie sich mit ihren Lauten, Strukturen und Wörtern tief in uns ein. Es ist aus diesem Grund auch ganz normal, wenn ein Dialektsprecher nicht weiß, warum er ein bestimmtes Wort verwendet, warum gerade in diesem Kontext oder was es ursprünglich bedeutete. Hier kommt die Sprachkolumne „Ausdrücke aus dem Vinschgau“ ins Spiel. der Vinschger hatte bereits mit der Serie „Eindrücke aus dem Vinschgau“ das Tal mit all seinen Facetten optisch in Szene gesetzt, die „Ausdrücke“ sollten einen Blick auf das Sprachliche werfen. Beileibe keine einfache Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass die Distanz zwischen dem Reschenpass und der Töll nicht nur in Kilometern eine beachtliche ist und die Grenze bei Eyrs eher dem Ohr als dem Auge zugänglich ist.

Die Themen, mit denen sich die Kolumne beschäftigt hat, sind vielfältig, aber es gibt drei Bereiche, die in besonderer Weise berücksichtigt wurden, weil sie sehr schön belegen, worüber sich der Dialektsprecher sehr häufig äußert und was im Mittelpunkt des menschlichen Interesses steht: Einerseits der gesamte Bereich rund um lokales Brauchtum und Traditionen (z. B. Säalamårkt, Klaubauf, Eïslheïbm, Schaibaschloogsunnta, Faschaangält, Guldanåmp, Larmschtång), dann der kulinarische Bereich, also Essen und Trinken (z. B. Schnäamilch, Piaschtturt, Tirggariibl, Fochaz, Gåffrawåsser, Paalapiiragräascht, girschtas Prout, Fätzener, Luttwärga, Pazlung, Zullawåsser) und schließlich durften auch die existentiellen Themen Gesundheit, Krankheit und Tod nicht zu kurz kommen (z. B. Fraithouf, Ziigngleggl, Maarn, Gäawåadl, Laitpitten, Särber, Wurmäntnschmålz).

Einige der vorgestellten dialektalen Ausdrücke haben sich auch mit aktuellen Anlässen verbinden lassen. Weihnachten, Aschermittwoch, die Karwoche oder Ostern waren beliebte Gelegenheiten, doch auch Profaneres fand den Weg in die Beiträge, sommerliche Wärme, Glühwein, die Apfelernte, für den heutigen Beitrag wäre es mit Sicherheit Allerheiligen oder ein kleiner Seitenhieb auf die vor kurzem abgehaltenen Landtagswahlen gewesen.

Jeder vierte Beitrag war einem erfundenen Vinschger Ehepaar und seiner Familie gewidmet, dem Håns-Sepp und seiner Frau Mena. „Die Vinschger Saga“ hatte einen besonderen Auftrag. Während in den regulären Beiträgen dialektale Ausdrücke in Bedeutung und Herkunft vorgestellt, erklärt und immer wieder auch in Verbindung mit aktuellen Themen präsentiert wurden, waren die kleinen Geschichten aus Håns-Sepps und Menas Leben dazu da, um Wörter und Wendungen ohne theoretisches Drumherum zu verwenden. So wurden beispielsweise zahlreiche Pflanzen- und Tiernamen genauso eingeflochten wie die Übernamen für Bewohner bestimmter Dörfer (wie zum Beispiel die „Oubergrauner Panklhucker“), Auszählreime oder die ganze verbale Bandbreite, die dem Dialektsprecher zur Verfügung steht, wenn jemand langsam arbeitet, stinkt, betrunken ist oder schläft. Vor allem in den ersten Folgen wurde hier ein recht rustikales Bild des Vinschgers gezeigt. Da wurde geschimpft, gejammert und gemault und es fielen auch schon die einen oder anderen gröberen Ausdrücke. Aber so ist das nun einmal. Der Dialekt kommt von Herzen – und da rumpelt es schon ab und zu.

Vor einigen Wochen wurden die Leserinnen und Leser dazu aufgefordert, jene Vinschger Dialektwörter einzusenden, die ihnen besonders gut gefallen. Ich versuche nun drei von den eingesandten Ausdrücken in eine Geschichte zu verpacken und führe Håns-Sepp und Mena ein letztes Mal auf die Bühne: Neu war die Situation nicht. Håns-Sepp und Mena lagen sich in den Haaren. Nach fast vierzig Ehejahren haben sich beide immer noch nicht an den Dickschädel des anderen gewöhnt. Mena hatte beim Konsortium einen „Gschpualamälter“ gekauft, da ihr der alte verbraucht schien. Håns-Sepp sah das vollkommen anders. Nur weil man dem Kübel ansah, dass er häufig verwendet wurde, war das noch lange kein Grund, einen neuen zu kaufen. Aber auch Menas Hinweis, er wäre wirklich „wolfla“ gewesen, konnte seinen für Außenstehende oft künstlich wirkenden Zorn nicht mindern. Mena hätte in all den gemeinsamen Jahren verstehen müssen, dass es nichts nützt, mit Håns-Sepp zu reden, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er war schon ganz überdreht. Am besten, so dachte sie, solle er „fa Teipe iber an Ruan auirännen“. Was soll man dazu sagen? So sain sui hålt!

4 Jahre, 100 Beiträge, 421 dialektale Ausdrücke und Wendungen, über 20.000 Wörter – das ist die rein numerische Bilanz der Dialektkolumne „Ausdrücke aus dem Vinschgau“, die mit diesem 100. Beitrag abgeschlossen wird. Wenn die kurzen Texte das eine oder andere Schmunzeln angeregt haben oder dadurch einige Dialektwörter wieder etwas stärker ins Bewusstsein gerückt worden sind, dann stimmt die Bilanz insgesamt. Allen Lesern ein „Dånkschäan“!

 

T Tercharar

Was haben die Vinschger mit den Juden zu tun? Sprache ist etwas Lebendiges und sich stetig Wandelndes und lebt nicht nur über den fortgesetzten Gebrauch durch eine Gemeinschaft, sondern auch durch den Austausch und Kontakt mit anderen. Die Herkunft eines sprachlichen Ausdrucks erzählt somit immer auch eine Geschichte. In den vergangenen fünfundzwanzig Folgen der „Ausdrücke ...“ konnten Begriffe nicht nur auf alt- oder mittelhochdeutsche Wörter, sondern auch auf lateinische und griechische Vokabeln zurückgeführt werden; sprachwissenschaftlich nichts Außergewöhnliches. Eine höchst interessante Verbindung verdanken wir jedoch den Karrnern, von denen wir in Zukunft noch öfters hören werden. Die Karrner, denen Luis Stefan Stecher ein literarisches Denkmal gesetzt hat, bildeten sich vermutlich im 18. Jahrhundert als eigene Gruppe im Obervinschgau heraus. Sie zogen mit Karren durch das Land und lebten auf der Straße. Nach dem Ersten Weltkrieg zersplitterten sich die Karrnersippen allerdings und nahmen so rapide ab. Als fahrendes Volk war auch ihre Sprache vielfältigen Einflüssen ausgesetzt. So gibt es beispielsweise im Jiddischen, einer Sprache, die hauptsächlich von Juden in Osteuropa gesprochen wurde, das Wort „derech“; es bedeutet „Weg“. Daraus sind – über die Karrner – die Vinschger Wörter „Terchar“ und „Tercharar“ entstanden. Letzteres bezeichnet damit Landstreicher und im übertragenen Sinn auch Menschen, die ständig „umt Weeg sain“.

 

Tirggariibl

Nudeln gelten als typisch italienisch, obwohl man diese in China seit 4.000 Jahren kennt, und Pommes Frites, die man gerne amerikanisch sein lässt, haben ihren Ursprung in Belgien. Von den Haflingerpferden, die eigentlich Schludernser sind, ganz zu schweigen. Das sind nur drei von vielen Beispielen, bei denen man über die Herkunft diskutieren könnte. Verwendet man im Vinschgau den Ausdruck „Tirgg“ für Mais in einer von zahlreichen Verbindungen wie „Tirggkolbm“, „Tirggameel“, „Tirggakourn“ oder „Tirggamuas“, dann verweist man damit geographisch auf die Türkei. Man könnte so vermuten, dass dies auch der Ursprung des beliebten Getreides sei. Damit liegt man aber genauso falsch wie bei den frittierten Kartoffeln. Der Mais kam zwar über die Türkei nach Österreich und damit nach Tirol, die eigentliche Heimat ist allerdings Mexiko. Eine besondere Bedeutung besitzt der Mais im oberen Vinschgau mit dem (aus dem alemannischen Raum stammenden) „Tirggariibl“, in Wasser aufgekochtes und in Butterschmalz geröstetes Maismehl. Nudeln, Pommes und Riibl  – das ist Globalisierung auf allen Ebenen.

 

V vikanz

Was haben das Papstamt, die SEL und das Südtiroler Schulwesen gemeinsam? Zunächst war und ist es bis jetzt für alle drei ein sehr wechselvolles Jahr. Papst Benedikt XVI. hat überraschenderweise im Februar seinen Rücktritt erklärt. Es war das erste Mal seit über 700 Jahren, dass sich ein Nachfolger Petri zu diesem Schritt entschlossen hat. Die Zeit zwischen seiner Abdankung und der Wahl des neuen Papstes nennt sich Sedisvakanz. Die seit langem skandalgeschüttelte Landesenergiegesellschaft SEL kam zu einem neuen Generaldirektor und verlor diesen wenige Monate danach ebenso skandalbegleitet. Der Posten war nun wieder vakant. Und viele Schulen haben heuer erste negative und positive Erfahrungen mit der 5-Tage-Woche gemacht. Immerhin gab es einen zusätzlichen schulfreien Tag für die Schüler. Übrigens (um endlich zum Dialekt zu kommen): Für „schulfrei“ gibt es im oberen Vinschgau einen schönen alten Ausdruck: „vikanz“. Er hat – wie Vakanz und vakant – seine Wurzeln im lateinischen „vacuus“ mit der Bedeutung „leer“. So leer wie manch kontraproduktives Geschwätz um eine 36. Schulwoche.

 

W Wachapfinzta

Worauf sich der Ausdruck „Pfinzta“ für Donnerstag zurückführen lässt, wurde bereits vor zwei Jahren an dieser Stelle erklärt (Folge 3). „Wachapfinzta“ bezeichnet nun einen ganz speziellen Donnerstag, jenen der Karwoche, also den Gründonnerstag. Allgemein wird zwar angenommen, dass das „grün“ nichts mit der Farbe zu tun habe, sondern aus dem althochdeutschen „grinan“ für „weinend den Mund verziehen“ entstanden sei, aber das ist mittlerweile nur einer von mehreren Erklärungsversuchen. Das „grün“ könnte auch daher herrühren, dass es seit mindestens dem 14. Jahrhundert belegt ist, dass man an jenem Tag nur grünes Gemüse und grüne Kräuter gegessen hat. Wie auch immer. Am Wachapfinzta kann man in Mals, wie an jedem Donnerstag der Fastenzeit, den so genannten „Sinker“ bewundern. Es handelt sich dabei um eine Holzstatue, die den knienden Heiland am Ölberg darstellt. Das Besondere daran ist, dass die Statue ein einfaches Getriebe besitzt, wodurch sich der Kopf Jesu bewegen kann. Die Gläubigen beten davor den Schmerzhaften Rosenkranz und beim ersten Gsatzl neigt sich das Haupt Jesu tief hinunter und die große Glocke läutet – insgesamt drei Mal wie am Ölberg. Dass die Malser stolz auf ihren Sinker waren und die Tauferer sich deshalb ärgerten, führte schließlich dazu, dass sich letztere einen ähnlichen Jesus bauen ließen und verkündeten „Iaz brauchmr enkern Hearrn nimmer.“ Vorösterliche Dorfrivalität!

 

Wialschar

Das Gerücht hält sich hartnäckig. Die Inuit, die früher wenig differenzierend als Eskimos bezeichnet wurden, sollen eine Vielzahl von Vokabeln für Schnee besitzen. Diese Behauptung ist weit verbreitet und auch in wissenschaftlichen und natürlich populärwissenschaftlichen Texten begegnet man diesem Klischee immer wieder. Wer in schneereicher Umgebung lebt, so die Begründung, wird ihn auch sprachlich unterscheiden – über 200 Wörter sollen es sein, wie zahlreiche Quellen behaupten. Lange hatte dies niemand kritisch überprüft, doch heute weiß man, dass es sich um einen unhaltbaren Irrtum handelt. Trotzdem scheint es durchaus naheliegend zu sein, dass die Umgebung die Sprache der Menschen beeinflusst. Wenn ein Vinschger Bauer vor einem Maulwurfhügel steht und sich über die Wühltätigkeit des insektenfressenden Säugers ärgert, bezeichnet er den Urheber des Übels als Wialschar, Wialscheer, Wialschger oder Wialtscher. Im Grunde nichts Besonderes. Was aber, wenn es an einem Ort gar keine Maulwürfe gäbe? Dann dürfte auch kein Wort dafür vorhanden sein. Das scheint immerhin plausibel. Wer will schon etwas bezeichnen, das in seinem Umfeld nicht existiert. So heißt es zum Beispiel, dass die Tauferer im Münstertal keinen Begriff für Maulwurf haben, weil es dort gar keine gäbe. Die Biester würden es nicht durch den Gålfawålt schaffen. Eine interessante Hypothese.

 

Wurmäntnschmålz

Warum heißt das Murmeltier Murmeltier, wenn es gar nicht murmelt, sondern schrill pfeift? Eine simple Frage, deren Beantwortung recht gewunden ist. Am Anfang der dazu gehörigen Erklärung steht eine Bergmaus. Im lateinischen Akkusativ heißt diese „murem montis“ und daraus hat sich durch romanische Vermittlung im Althochdeutschen das Wort „murmenti“ gebildet. Schon sind wir nicht mehr ganz so weit entfernt vom Vinschger Ausdruck für die putzigen Alpentiere. Die Bedeutung von „murmenti“ hat im 14. Jahrhundert natürlich kaum mehr jemand verstanden und so wurde der Begriff volksetymologisch nach dem Zeitwort „murmeln“ umgestaltet; übrigens eine nicht seltene Praxis. So wird aus Nichtverstandenem Verständliches und aus einer Bergmaus ein Murmeltier – oder wie man im Vinschgau sagt – eine Wurmänt. Auch im alemannischen Sprachraum kennt man einen ähnlichen Ausdruck, dort spricht man von Purmänta. In beiden Fällen wurde das erste „m“ in „murmenti“ durch einen anderen Laut ersetzt, da man zwei gleiche vermeiden wollte. Dadurch werden wichtige Laute für den Hörer besser wahrnehmbar. Unabhängig davon gibt es noch weitere schöne Vinschger Ausdrücke: Das Fell eines Murmeltiers ist unter der Bezeichnung „Wurmäntnpålg“ bekannt und gegen Gelenks- und Muskelbeschwerden helfen Wurmäntneïl und Wurmäntnschmålz. Die Jagd auf Murmeltiere wird bei uns mit angeblich von ihnen angerichteten Schäden auf Hochalmen gerechtfertigt. Das stimmt aber nicht. So murmelt man.

 

Z Ziigngleggl

„St. Josef, bitt um eine glückliche Sterbestunde!“ Dies ist ein Teil der Inschrift auf dem 80 kg schweren Ziigngleggl (auch Zinggleggl) in der Kirche zum Hl. Luzius in Tiss bei Goldrain. Sein Festtag wurde erst kürzlich am 2. Dezember gefeiert. Dass wir ihn außer in Goldrain auch noch in der Pfarrkirche von Laatsch und in der Kapelle in der Fürstenburg in Burgeis, also gleich drei Mal hier finden, hängt damit zusammen, dass der Vinschgau bis 1816 kirchenrechtlich zum Bistum Chur gehörte und St. Luzi, wie er auch genannt wird, der dortige Bistumspatron ist. Das Ziigngleggl ist, wie heute noch weithin bekannt, die Sterbeglocke und wurde früher bereits geläutet, wenn der Sterbende in den letzten Zügen lag – daher auch der Name. Das Sterbeglöcklein in Tiss stammt übrigens aus dem Jahre 1925 und wurde, wie zwei weitere Glocken, von Giovanni Colbacchini aus Trient gegossen. Er hatte der Legierung Blei beigemischt, wodurch es unerwünschterweise zu Tonschwankungen kommt. Geschwindelt wurde eben immer. Nochmals zurück zum Hl. Luzius. Er heilt unter anderem Kranke von ihrem Fieber und befreit Besessene von ihrem Wahn. Angesichts der nicht enden wollenden Schuldenkrise in Europa und den oft kaum nachvollziehbaren Rettungsaktionen scheint es nicht unsinnig zu sein, diesen Heiligen anzurufen. Möge der Euro nicht in den letzten Zügen liegen!

 

Zoch

Spätmittelalter. Ländliche Gegend. Historische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Anzahl der Geburten im Dezember wesentlich geringer ist als während des restlichen Jahres. Der Grund dafür lag darin, dass neun Monate zuvor die Fastenzeit begangen wurde und man (zumindest auf dem Land) während dieser enthaltsamer als sonst gelebt hatte. Verlassen wir aber das Mittelalter. Unsinniger Donnerstag. Prad am Stilfserjoch. Das dort traditionell abgehaltene Zusslrennen gehört sicherlich zu den wichtigsten und interessantesten Faschingsbräuchen im Vinschgau. Die männlichen Prader verkleiden sich dabei als so genannte Zussl, sind dazu von Kopf bis Fuß in weiße Kleider gehüllt, mit Maschen und Blumen geschmückt und tragen eine mitunter schwere Kuhschelle oder Glocke. Im Laufe des Umzuges tauchen noch viele andere Figuren auf, die wir hier gar nicht aufzählen wollen, und am Ende schließlich ein Paar mit den Namen „Zoch und Pfott“. Die beiden Bezeichnungen werden auch abseits der Fasnacht für „Mann“ und „Frau“ verwendet und haben zumindest im Vinschgau nicht automatisch einen negativen Beigeschmack. Im östlichen Teil des Landes zum Beispiel ist ein Zoch generell ein derber, grober Mensch, ein bengelhafter Bursche. Woher die beiden Begriffe sprachgeschichtlich stammen, darüber ist sich die einschlägige Literatur nicht einig. Manche vermuten, dass „Zoch“ auf das slawische „socha“ für „Knüppel, Pfahl“ zurückgeht, das mittelhochdeutsche „zoche“ bedeutet „Knüttel, Prügel“, womit natürlich ein bestimmtes männliches Körperteil gemeint war. Ähnliches gilt auch für die „Pfott“. Womit sich der Kreis zum eingangs erwähnten Beispiel schließt. Aber lassen wir solche Anzüglichkeiten – die Fastenzeit beginnt.

 

Zullawåsser

Selbst in unserer fortschrittlichen Welt, in der fast jedes Phänomen erklärt werden kann, gedeiht in engen Seitennischen immer noch das Geheimnisvolle und Unglaubliche. Moderne Sagen, wie man sie oft nennt, sind schon längst zum Allgemeingut geworden. Legt man zum Beispiel ein Stück Fleisch in Cola, so wird immer wieder berichtet, löse sich dieses vollständig auf – ein Beweis, wie schädlich das Gebräu sei. Tatsache ist, dass sich mit der Zeit (wie ohnehin) das Aussehen verändert, mehr aber auch nicht. Ein anderes Gerücht lautet, Spuma, das in Italien weit verbreitete Getränk, werde aus faulen Äpfeln hergestellt. Die Wirklichkeit ist kaum gesünder: Wasser, Zucker, Farb- und Aromastoffe, aber keine Äpfel. Um einiges unappetitlicher ist aber die Herkunft von Speisewürze (vulgo Maggi): Der Ausdruck „Zullawåsser“ legt nahe, sie werde aus zermalmten und ausgepressten Zulln, also Maikäfern, hergestellt. Das Wort „Zulln“ lässt sich auf das Welschtirolerzorla“ zurückführen. Ob aber die ähnliche Farbe und der Geruch von käfernzerknabberten Buchen Beweis genug für die Maggi-Herkunft sind?

 

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