Wörterbuch für das Eggental

Zelger, Christian: Wörterbuch für das Eggental. Die Mundart der Orte Deutschnofen und Eggen. Pluristamp. Bozen 2004. [ISBN 88-87301-09-3]

 

GEOGRAPHISCHE UND HISTORISCHE HINWEISE

Das Eggental ist ein Seitental des Eisacktales mit zwei Ge­mein­den: Deutsch­nofen (mit den Ortschaften Deutsch­nofen, Eggen und Petersberg) und Welschnofen. 

Die Gemeinde Deutschnofen liegt süd­östlich von Bozen auf einem Hochplateau aus Porphyr. Die Gesamtfläche der Ge­meinde Deutschnofen umfasst über 11.000 Hektar, die Ein­woh­nerzahl liegt bei etwa 3.400 Einwohnern. Deutschnofen selbst liegt auf einer Höhe von 1357 Metern.

Die ältesten Siedlungsspuren lassen sich bis in die vor­christ­liche Zeit zurück­ver­folgen. Über die Herkunft der Bewohner aus dieser Zeit weiß man wenig. Wahr­schein­lich handelte es sich um keltische, etruskische oder illyrische Volks­stäm­me. Die Römer nannten die Menschen im Gebirge Räter. Durch die Er­obe­rung dieser Gebiete durch die Römer und einer fast fünfhundertjährigen Herr­schaft haben die Räter viel von der überlegenen römischen Kultur über­nom­men. 

Der Waldreichtum war seit jeher wichtig für das Tal. Über Jahrhunderte hindurch hat man auf der Etsch große Mengen an Holz aus Deutschnofen nach Süden in die holzarmen Re­gionen Ita­liens verflößt. Daneben versorgte man die Be­woh­ner von Bozen, vor allem Bäcker und Wirte, mit Brennholz und die Weinbauern mit Latten, Pfählen und Stangen für den Reb­bau.

Um 1150 taucht Deutschnofen als „Nove“ das erste Mal in den Urkunden auf. Durch einen Bevölkerungsanstieg wurde in dieser Zeit eine starke Sied­lungswelle ausgelöst. Man begann Wälder zu roden und neue Sied­lun­gen anzulegen. „Nova“ oder „Nove“ bedeutet soviel wie „Neuland“ oder „neu gerodetes Land“. Im Munde der deutschen Siedler wurde da­raus „Deutsch-Nove“, um besser vom be­nach­barten Welsch­­nofen zu unterscheiden, wo das romanische Volks­tum durch Ladiner aus dem Fassatal stärker ver­treten war. 

Dadurch entstanden die Namen "Nova Theotonica" für die Sied­lung Deutschnofen und „Nova Latina“ für Welschnofen. Um 1350 tauchten schließlich die Bezeichnungen „Deutsch-Noven“ und „Waelsch-Noven“ auf. 

Das Gericht in Deutschnofen wurde 1272 das erste Mal ur­kund­lich erwähnt, die Pfarre bereits einige Jahre früher, um das Jahr 1265. Beide Gemeinden ge­­hörten jedoch zu ver­schie­denen Diözesen. Während Deutsch­­nofen mit Eggen und Petersberg zur Diözese Trient gehörte, waren Welsch­nofen, Gum­mer und Karneid Teil der Diözese Brixen. 

Die gesamte Hochfläche wird von steilen Bergen, tiefen Tä­lern und Schluchten eingegrenzt. Die Verbindung war damit nach außen erschwert, eine Fahrt auf die Hochfläche lang­wie­rig und teils mühsam. Aus diesen Gründen haben sich viele Be­sonderheiten im Dialekt bis zum heutigen Tag er­halten, die sonst nirgendwo mehr verwendet werden.

Einer Sage nach sei in der schweren Pestzeit der Jahre 1348 bis 1350 das ganze Eggental ausgestorben, worauf neue Sied­ler aus Hessen und Schwaben eingewandert seien. Trotz­dem hat der Deutschnofener Dialekt nichts mit dem der Hessen oder der Schwaben zu tun. Der Dialekt stammt wie die meisten Tiroler Mundarten aus dem Bairischen. In Deutsch­nofen haben sich aber alte Formen und Wörter länger gehalten als in verkehrsreichen Gegenden.

 

MERKMALE DES WORTSCHATZES

1. Lexeme

Der Eggentaler Dialekt besteht im Wesentlichen aus drei Kategorien von Lexemen:

a) hochsprachliche Lexeme mit veränderter Aussprache

Beispiele: „Fraita“ (= Freitag), „Knoufla“ (= Knoblauch), „Taal“ (= Teil)

Die veränderte Aussprache betrifft sowohl Konsonanten als auch Vokale. Aus­führ­liche Anmerkungen zu diesem Thema findet man unter Punkt 2.

Hier sei angemerkt, dass die veränderte Aussprache in zahl­reichen Fällen auch nur da­rin besteht, dass von dem hoch­deutschen Wort die Verkleinerungsform gebildet wird, wie es im hier untersuchten Dialekt häufig vorkommt, z.B. „Kränzl“ (= Kranz). Das hat zur Folge, dass man in einigen Fäl­len für die ursprüngliche Form bzw. neben der Ver­kleinerung ein weiteres Wort verwendet. Typisches Beispiel: „Plättl“ (= Blatt) und „Pleitsch“ (= großes Blatt).

b) dialektale Lexeme mit veränderter Aussprache

Beispiele: „geibich“ (statt „gabich“ = verkehrt), „hänti“ (statt „hantig“ = bitter)

Die unterschiedliche Aussprache lässt sich hauptsächlich an zwei Phänomenen auf­zeigen. Erstens werden Vokale ver­än­dert gesprochen. Wie die beiden bereits an­ge­führten Bei­spie­le zei­gen, ist die Umlautfärbung von „ä“, dem sonst gemeinbairisch ein helles „a“ entspricht, hier als ein „ä“, „e“ oder „ei“ erhalten. Außerdem wird aus einem „åa“ für den alten Zwielaut „ei“ bzw. „ai“ ein „a“ oder „aa“, z.B. aus „håaß“ wird „hass“, aus „Låatr“ wird „Laatr“. 

Zweitens werden Wortendungen verändert. Auch dies lässt sich am zweiten Eingangsbei­spiel erkennen; die Endung „ig“ wird zu einem „i“ verkürzt. Wei­te­res Beispiel: „tirmi“ (statt „tir­misch“). Meist sind davon Adjektive be­troffen. Endungen kön­­nen jedoch nicht nur verkürzt sondern auch erweitert wer­­den. So wird „rougla“ statt „rougl“ und „Poufla“ statt „Poufl“ verwendet. Sowohl die Ver­kür­zun­gen als auch die Er­wei­­­terungen lassen erkennen, dass die bodenständige Mund­­art vo­ka­li­sche En­dungen konsonantischen vorzieht.

Zudem fällt auf, dass der hier untersuchte Dialekt in Ein­zel­fällen eine besondere Vor­liebe für den Buchstaben „n“ hat. So wird aus dem „Turm“ ein „Tuurn“, aus einer „Panadlsupp“ eine „Panandlsupp“. Weitere Informationen unter Punkt 3.

 c) eigene Lexeme

Beispiele: „çelli“ (= eisig), „såffra“ (= teuer), „wax“ (= schnell)

Diese Lexeme lassen sich in der Regel direkt auf alt- oder mittelhochdeutsche Wörter zurückführen, die im Dialekt wei­ter­leben, obwohl die Hochsprache andere Ausdrücke da­für be­sitzt. Manchmal stammen die Lexeme auch aus an­deren Spra­chen, so zum Beispiel aus dem Italienischen oder La­di­ni­schen (durch geographische Nähe), Lateinischen (über den Ein­fluss der Kirche) oder Französischen (durch die fran­zö­si­sche Besetzung im 19. Jahrhundert). 

Der letzte Einfluss ist weniger in den Mundarten des Eggen­tals selbst, als vielmehr allgemein in den Dialekten der Süd­tiroler zu be­mer­ken, wird doch für „das“ bzw. „dieses“ das Wort „säll“ ver­wendet, das sich höchstwahrscheinlich auf das fran­zösische „celle“ zurückführen lässt.

 

2. Vergleich des Eggentaler Dialekts mit dem Neu­hoch­deutschen

Stellt man einen Vergleich zwischen der Standardsprache und der Mundart der Ortschaften Deutschnofen und Eggen an, fallen folgende Ei­gen­heiten auf:

a) Längung des Stammvokals (quantitative Modifikation)

Beispiele: „Gaas“ (= Ziege), „Tuurn“ (= Turm), „Diirn“ (= Magd)

Dieses Besonderheit lässt sich vor allem bei den Lauten „a“ und „u“ fest­stellen, mitunter auch bei „i“.

b) Veränderung des Stammvokals (qualitative Modifikation)

Beispiele: „kaans“ (= keines), „Suun“ (= Sohn), „uuna“ (= ohne)

Folgende Veränderungen in bezug auf die Hochsprache las­sen sich aufzeigen: „a“ zu „oo“ (z.B. „Fladen“ wird zu „Flo­odn“), „ai“ zu „aa“ (z.B. „Geiß“ wird zu „Gaas“), „oo“ vor „n“ und „m“ zu „uu“ (z.B. „ohne“ wird zu „uuna“, „Name“ wird zu „Nuum“).

c) Diminutiva

Beispiele: „Pächl“ (= Bach), „Plättl“ (= Blatt), „Gätterl“ (= Zauneingang)

Wie bereits erwähnt, finden sich in der hier dargestellten Mund­­art zahl­reiche Ver­klei­ne­rungs­­formen. Der Grund dafür liegt wahr­scheinlich darin, dass durch eine Ver­klei­ne­rung das be­sprochene Objekt nicht nur kleiner, sondern auch per­sön­li­cher wird. Ähnliche Tendenzen lassen sich u.a. auch in der lateinischen Sprache aufzeigen.

d) Verhärtung von Konsonanten

Beispiele: „Paañ“ (= Bein), „Piir“ (= Birne), „plaachn“ (= bleichen)

Bei diesem Phänomen werden – wie im gesamten ober­deut­schen Raum, damit auch typisch für alle Tiroler Dialekte – stimmhafte Plosivlaute (b, d, g) zu stimmlosen (p, t, k). Am auffälligsten ist dies bei „b“, das im Anlaut im­mer wie ein „p“ ausgesprochen wird. Aus einem Lenis-Laut (ohne An­span­nung) wird somit ein Fortis-Laut (mit An­spannung). 

 

3. Vergleich des Eggentaler Dialekts mit anderen Ti­ro­ler Dialekten

Selbstverständlich gibt es keinen einheitlichen Tiroler Dia­lekt, so liegen zum Beispiel zwischen dem Dialekt des Pus­tertals und dem des Vinsch­gaus Welten. Es gibt jedoch zahl­reiche dialektale Ausdrücke, die in den meisten lokalen Dia­lekten vorkommen und häufig ei­ne bestimmte Aussprache be­sitzen. Die Mundart der Orte Deutschnofen und Eggen hebt sich von dieser Aus­sprache in vielen Fällen ab.

Die auffallendsten Unterschiede liegen im Bereich der Vo­kale. Wird allgemein ein „a“ gesprochen, so spricht der Be­woh­ner von Deutschnofen und Eggen durchwegs ein „ä“ oder ein „ei“. Typische Beispiele: „Plättl“ statt „Plattl“, „wälsch“ statt „walsch“ oder „Kreix“ statt „Krax“. Da in vielen Dia­lekten eine Vokal­ver­än­de­rung von „ä“ zu „a“ zu be­ob­ach­ten ist, wird diese im Eg­gen­tal teil­weise wieder auf­ge­hoben, z.B. „wälsch“ (= welsch; gleiche Aussprache!). 

Ein weiteres Beispiel. Wird in der Hochsprache der Laut „eh“ geschrieben und ge­spro­chen, so wird dies in den meisten Tiroler Dialekten zu einem „aa“ (aus „dre­hen“ wird „draa­nen“). Der Dialekt der historischen Eggentaler macht aus die­­sem älteren Umlaut „ä“ ein „ei“ („drein“).

 

ANMERKUNGEN ZUR PLURALBILDUNG

Jede Mundart besitzt eine implizite Grammatik, d.h. Regeln, nach denen zum Beispiel Wortableitungen gebildet werden kön­­nen. Im Unterschied zur Hoch­­sprache existieren diese Re­­geln nicht als geschriebene Nor­men, auch wenn sie sprach­­wissenschaftlich rekonstruiert werden können.

Die verschiedenen Möglichkeiten von Substantiven und an­deren Wortarten Pluralformen zu bilden, entsprechen im Eg­gentaler Dia­lekt im We­sent­li­chen de­nen der Hochsprache, sie treten jedoch zum Teil bei unter­schied­li­chen Wörtern auf.

§ 0

Nicht von allen Wörtern können Pluralformen gebildet wer­den. Beispiele: Wörter, die Stoffe („Kupfer“) und Ele­men­te („Stick­stoff“) bezeichnen, abstrakte Begriffe („Ge­rech­tig­keit“) oder Sammelbezeichnungen. Dies gilt sowohl für die Stan­­dard­sprache als auch den hier untersuchten Dialekt.

§ 1 +Ø 

Die erste Möglichkeit, eine Mehrzahl auszudrücken, besteht darin, die Singu­lar­form unverändert zu lassen. Auch in der Hochsprache kommt dieser Fall vor, z.B. „ein Fenster – drei Fenster“. Typisches dialektales Beispiel: „a Gårmraafr – drai Gårmraafr“.

§ 2 +(e)n

Bei sehr vielen Wörtern wird der Plural dadurch gebildet, dass man an die Singu­lar­­form ein „n“ bzw. ein „en“ anhängt. Diese Möglichkeit wird in der Hochsprache sehr oft ver­wendet, z.B. „ein Mensch – drei Menschen“. Ein Beispiel des Eggen­taler Dialekts: „an Årbes – drai Årbesn“. Manch­mal kann es vorkommen, dass zwi­schen die Aus­gangsform und der Pluralendung noch ein Konsonant (haupt­säch­lich „d“) ein­geschoben wird, um die Aussprache zu erleichtern. Wich­tiges Beispiel: „a Pai – fiile Paidn

§ 3 +(e)r

Die dritte Variante der Mehrzahlbildung hängt ein „r“ bzw. ein „er“ an die Einzahl­form an. Auch diese Form kommt so­wohl in der Hochsprache als auch im Dialekt häu­fig vor, z.B. „ein Bild – drei Bilder“ und „a Plättl – drai Plättler“. In­te­res­sant ist hier anzumerken, dass diese Pluralbildung bei man­chen Wörtern den Stamm­vokal verkürzt: „añ Puusèl – drai Puseler“.

§ 4 +i

Bei einigen Wörtern (in der Regel Adjektive) wird die Mehr­zahlform dadurch gebil­det, dass man sie mit einem -i enden lässt. Zum Beispiel: „hameni, „dünni oder „a ploobs Hämmet – drai ploobi Hämmetr“.

§ 5 Änderung des Stammvokals

In weiteren Fällen wird der Stammvokal, d.h. der erste Vo­kal des Wort­stammes, verändert. In der Hochsprache kommt dies ebenfalls vor, jedoch aus­schließlich in Kom­bination mit einem an den Stamm angehängten Suffix, z.B. „ein Dach – drei Dächer“. Im Dialekt kommt dies auch ohne Suffix vor: „a Pock – drai Peck“ oder „a Woosn – drai Weisn“.

§ 6 Unregelmäßige Formen

Neben diesen fünf Hauptfällen gibt es einige Wörter, die sich nicht einordnen las­sen, vor allem Zusammensetzungen, die eine unregelmäßige Pluralform bilden.

 

AUSZUG AUS DEM WÖRTERBUCH (> 1.000 Stichwörter)

 

'gfunnen (part)

gefunden; Partizip Perfekt Passiv von "finden"

'çiffeln (v/t)

Eier picken (ein beliebtes Kinderspiel)

'Gift-Moodr (m.)

Heuarbeiter mit Sense [zynisch]

'Glåapets (n.)

Überbleibsel

'glåggèt (adj)

abstehend [bei Ohren], gebogen [bei Hüten]

'çländern (v/i)

nicht gescheit sein, einen Klaps haben

'Gländr (n.)

Geländer

'Çländr (m.)

Kalender, z.B. der "Raimichl-Çländr"

'gliibig (adj)

biegsam

'Gloudr (n.)

hängende Haut am Hals (beim Rind)

'Glutsch (f.)

Glucke

'Çluuf (f.)

Sicherheitsnadel (< alem. Glufe)

'Çnäff (f.)

unsympathische Frau (?< kläffen)

'Çnägg (n.)

Genick (< mhd. nac)

'gnaipn (v/t)

eine Türklinke auf- und niederdrücken

'Gnåpponk (f.)

(manuelles) Gerät zum Schneiden des Fut­ters

 

© 2004 by Christian Zelger